Projekt Beschreibung

Klara Hitler

ab 40, 1/2006

“Wie!? Hitler war auch einmal nicht Hitler? Er war einmal schutzbedürftig und zart? Und wenn er weinte, wurde er getröstet, wurde gewiegt und getragen!? Hitler hatte eine Mutter! Sie hatte auch einen Namen: Sie hieß Klara.

Mit Klara Hitler und ihrem Umfeld befasst sich Christa Mulack in ihrem wichtigen, spannenden und analytischen Buch. Sie tut dies in der ihr so eigenen Art zwischen Einführung, Insistieren und Aufrütteln.

Zunächst wird der analytisch-beschreibende Blick auf die patriarchale Familie als ‚Steigbügelhalter des Dritten Reiches’ gerichtet und auf die ‚Schwarze Pädagogik’, die in preußischer Zeit angab, wie Kinder mit Schlägen und Erniedrigungen heranwachsen sollen. In diesem Geist wuchsen viele auf und eben auch Hitlers Vater. Als dieser selbst Familienoberhaupt wurde, gab er diese Prinzipien und Umgangsweisen weiter. Seinen Sohn Adolf hat er geprügelt, einmal fast zu Tode. Adolf hatte Angst vor ihm. Klara gewiss auch.

Das Bild dieser preußisch-autoritären Familie, in der Prügel und Willkür des Vaters die Normalität waren, Angst und Unterdrückung nie verschwanden, lässt beim Lesen dichte Bilder entstehen: von Familie, wie wir sie kennen aus unserem Umfeld, von unseren Großeltern oder gar von uns selbst. Die abartige Gewalt der großen Schrecken geschieht ursprünglich in der Kleinfamilie und dann erst im Staat und mit Hilfe des Staatsapparates.

Klara konnte gegen die Gewalt ihres Mannes nicht viel ausrichten. Arme Klara!

Bemitleidenswerte Klara! Sie war immer damit beschäftigt, ihre “Familienpflichten” zu erfüllen und die Brutalitäten ihres Mannes zu mildern. Es gab keinen Platz für einen Plausch mit den Nachbarinnen, keine Freundin, keine weiblichen Verwandten, bei denen sie sich hätte Stärke holen können (ihre Schwester war geistig behindert und wurde von ihr versorgt). Solch eine Isolierung und Schwächung der Frauen käme in mütterzentrierten, matriarchalen Gesellschaften oder Verhältnissen nicht vor. Weit weg davon sind Klara und andere Mütter! Trotzdem war es ihr möglich, ihren Kindern Liebe und Zärtlichkeit zu geben.

Bestimmte Bilder lassen mich nicht mehr los, etwas wie Klara Hitler ihre Tochter (und sicherlich auch ihren Sohn Adolf) jeden Morgen vor der Schule bis an den Gartenzaun brachte und nachwinkte, bis das Kind außer Sichtweite war.

Christa Mulack beschreibt sie als den Prototyp der Mutter im Patriarchat (bis auf den heutigen Tag). Die abhängige Mutter, die machtlose Mutter, die Mutter, die daran gehindert wird, Mutter zu sein.

Und Adolf Hitler wird ebenfalls als Prototyp beschrieben, der uns in verschiedenen Stadien überall begegnet, und der von keiner (patriarchalen) Mutter aufgehalten werden kann.

Frauen und Kinder in der Kleinfamilie sind Puffer, sie schützen gewissermaßen das gesamte System vor männlicher Gewalt. So kann die Autorin sich vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn Hitler eine Familie gegründet hätte, dann hätte er seinen Hass wohl an Frau und Kindern abreagiert.

Froh bin ich, dass Christa Mulack uns nicht mit diesen Schreckensbildern und Parallelen zur Gegenwart zurücklässt, sondern im letzten Kapitel auch Perspektiven anspricht. Sie sagt uns, und ich denke, wir mögen uns das selbst auch immer wieder sagen: Es kann nicht darum gehen, Frauen in ein männliches Lebensmodell zu pressen. Mutter- und Tochterbeziehungen sind Grundlage für das andere Modell.

Der Umschlag des Buches zeigt einen Scherenschnitt von Mutter und Kind in weißem Oval auf rotem Grund, matriarchalen Farben zu einem patriarchalen Thema! Es wirkt wie eine späte Wiedergutmachung, auch wie eine Erinnerung, wie es einmal war, und es suggeriert, wie es einmal wird werden, wenn andere Werte, die natürlichen, das Leben bestimmen.

Mütterlichkeit soll wieder an Wert gewinnen, ihr soll Anerkennung auf allen Ebenen zuteil werden, für alle Menschen soll es selbstverständlich sein, sich mit mütterlichen Verhaltensweisen zu identifizieren und sie auf alle Verhältnisse des Lebens zu übertragen! Macht, Konkurrenz und Gewalt sollen nicht mehr verbreitet werden, dafür gegenseitige Unterstützung, Respekt und Liebe! Bücher wie diese sind Hilfen auf dem Weg dorthin. Deshalb sind sie so unendlich wertvoll!”

(Uschi Madeisky)