Projekt Beschreibung
Mutter – Sprache – Autorität
AEP Informationen, 4, 2009
Andrea Günter leuchtet in ihrem Buch “Mutter – Sprache – Autorität” einen bestimmten Aspekt von Mutterschaft, nämlich die Weitergabe von Sprache und Ausdrucksmöglichkeiten, aus. Die Autorin nimmt Mutterschaft nicht als Inhärentes von Frauen wahr, sondern als eine Beziehungsform zwischen zwei Personen, nämlich jener Frau, die ein Kind (geboren) hat und ihrer Tochter/ihrem Sohn. Inwieweit eine Frau ihr Mutter-Sein als Hauptsache oder als einen Aspekt von mehreren in ihrem Leben sieht, ist an das gesellschaftliche Umfeld und an die eigenen Wertvorstellungen geknüpft. Gerade in unserer Zeit brechen die hegemonialen, traditionellen Mutterbilder und Ideale auf (wie z.B. dass Mütter unter die Vormundschaft der Männer und Väter gehören; dass sie die gesamte Zeit bei ihren Kindern sein müssen, damit diese “richtig werden” …). Nunmehr entstehen Mutterbilder, die die Frau weiterhin als Erwachsene und als erwachsene, sexuelle Frau mit ihren eigenen Lebenswünschen zeigen.
Die verschiedenen, zum Teil divergierenden Zielsetzungen und Wünsche der Gesellschaft, der Mutter und des Kindes müssen laut der Autorin “ausbalanciert” werden. Sollte dies nicht der Fall sein, kann die Mutter-Kind-Beziehung zu einseitig gelebt werden und sich starre Kinder-, Mutter-, Frauen-, Väter-, Männerbilder entwickeln.
Andrea Günter sieht einen Weg für Mütter im eigenen Gewachsen-Sein, in der eigenen inneren Verbindung zu sich selbst und nach außen zur Welt bzw. in der Sprachkompetenz (d.h. wie setze ich mich mit anderen in Beziehung, wie bringe ich meine Bedürfnisse von Innen nach Außen). Das Kind erlernt von der Mutter, die die erste Bindungsperson nach der Geburt ist, dass der Lebenserhalt nicht mehr automatisch durch die Nabelschnur möglich ist, sondern die eigenen Bedürfnisse, nach außen gesprochen, kommuniziert werden müssen. Mit der Teilhabe an Sprache vergrößern Kinder ihren Einfluss, ihre eigene Mächtigkeit. Sie werden immer mehr Teil von zunächst unmittelbaren und dann immer abstrakter werdenden Gemeinschaften. Sprache wird, nach Trennung der Nabelschnur, zur Notwendigkeit um sich für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen, Regeln zu erkennen, Worte zu gewinnen, zu ordnen, zu zergliedern, neu zusammenzusetzen, Wünsche zu formulieren, Wirkungen auf das eigene Gesagte und Tun und damit Realität zu erlangen. Durch die Sprache wird ermöglicht, dass auch die Mutter-Kind-Beziehung neu geordnet werden kann. Für Andrea Günter ist es ein erster Schritt, wenn sich die Mutter als ICH konstituiert und ihr Kind als DU denkt und als DU anspricht. Trotz der gemeinsamen, durch die Nabelschnur verbundenen Zeit, sind Mutter und Kind ZWEI (! ) mit zwei unterschiedlichen Situationen.
Andrea Günter unterscheidet in einem ihrer Schlusskapitel zwischen Autorität und autoritärem Verhalten. Autorität haben Eltern automatisch durch ihr schon vorhandenes Wissen über die gesellschaftlichen Regeln bzw. über ihr eigenes, sich trotzdem noch veränderndes, Gewachsen-Sein. Autoritäres Verhalten benutzt dieses Wissen und diese Erfahrungen zur Machtausübung. Es benötigt weder von Müttern noch von Vätern irgendwelche Machtdemonstrationen gegenüber Kindern, um den eigenen Status zu verankern. Was Kinder erlernen sollten, sind, laut der Autorin, ihre Bedürfnisse in einem gesellschaftlichen Regelwerk zu versprachlichen und ihr Denken, Tun und dessen Wirkung auf sich und andere zu erfahren, zu reformulieren …
Das Buch von Andrea Günter ist in einem philosophisch, leicht verständlichen Wortlaut geschrieben. Besonders war für mich, dass sie unterschiedliche Mutterbilder auffächert, außerhalb von Ideologien bleibt, sich sichtbar macht, wo sie als Wissenschaftlerin auffindbar ist, und trotzdem in keine gut/böse Bewertungen fällt. Sie nimmt die Wissenschaft als Möglichkeit zur Öffnung und Klärung einer Thematik. Günter verwendet die Wissenschaft nicht, um von ihr Gedachtes bzw. Erarbeitetes zu determinieren. Damit bleibt sie in ihrem Schreibstil flüssig und glaubhaft.
Erstarrung hat hier keinen Platz.
(Sabine Mutschlechner)