Projekt Beschreibung

Die Sprache unsrer Ursprungs-Mutter MA

AEP informationen, 4/2020

Der Frauenbuchverlag Christel Göttert wurde 1992 gegründet mit der Motivation, „die Unterschiedlichkeit von Frauen zu zeigen und die Vielfalt weiblichen Schaffens und Denkens sichtbar [zu] machen“ … …. [dem] „weiblichen Blick auf die Welt“ einen Platz zu geben. Die Betonung einer Perspektive der Geschlechterdifferenz ist dabei ein zentrales Anliegen: „Im Sinne weiblicher Genealogien soll zugleich an Leben und Werk vorausgegangener Frauen angeknüpft werden.“ Annine van der Meer, Historikerin, Theologin und Verfasserin der hier vorliegenden Publikation, passt gut in dieses Setting. Sie hat sich intensiv mit dem Bereich der Symbole beschäftigt. Sie begründete und leitet aktuell in den Niederlanden die Akademie PanSophia, Schule der Weisheit – Wissenszentrum für Matriarchat und Einheitsbewusstsein. Ihr nun erschienenes gewichtiges Werk – bei etwas mehr als drei Kilo sogar im wahrsten Sinn des Wortes – bewegt sich genau in diesem Rahmen. Es handelt sich um eine überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Ausgabe des 2009 auf Holländisch erschienenen Buches „Venus is geen Vamp. Het vrouwbeeld in 35.000 jaar Venuskunst“ und kann aufgrund der unzähligen Illustrationen fast als Bildband bezeichnet werden. ,,Dieses Buch ist das Ergebnis jahrelanger Reisen und Studien. Es untersucht die Venus-Kunst unverzerrt durch Sinn und Unsinn dessen, was die bisherige wissenschaftliche Forschung angeboten hat“ (12) – lautet ihre Selbstbeschreibung. Es geht ihr darum den „inneren Wert der die Welt umspannenden weiblichen Symbolen zu verstehen“ (13).

Im Vorwort umreißt die Autorin in aller Deutlichkeit ihre Position innerhalb der Frauenbewegungen: Stark beeinflusst von Göttner-Abendroths „Die Göttin und ihr Heros“ ist es ihr Anliegen die Spuren von Matriarchaten in der Strömung zeitgenössischer spiritueller Frauen nachzuzeichnen und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei bezieht sie sich auf Gerda Weiler, Kurt Derungs, Max Dashu oder Marija Gimbutas.

Entfaltet wird die Perspektive des spirituellen Feminismus in Abgrenzung zum „akademischen Standpunkt“ (12), wie sie es bezeichnet. Van der Meer wendet sich ausdrücklich gegen dessen „materialistische, intellektualistische und patriarchale Richtung“ (13) und sieht sich hier in Einklang mit der katholischen Theologin, Philosophin und radikalen Feministin Mary DaIy. Für die Autorin sind Frauen die Mittlerinnen zwischen Geist und Materie, sie stellen die Verbindung zwischen Sein und Werden dar. „Dieses Buch belegt, dass eine historische Entwicklung von der verehrten Ahninmutter zur Göttin stattgefunden hat“ (14). Ausdrücklich verwehrt sie sich gegen die Bezeichnung als „Essenzialistin“ und sieht diesen Begriff als patriarchale Zuschreibung.

Sie nennt als Ziel dieses Buches, eine ausführliche Darstellung eines Systems der Symbole zur Erfassung der globalen Venus-Kultur vorzulegen. Ihre Herangehensweise dabei sei „eine universalistische und kulturübergreifende Interpretation“, die in Opposition zur akademischen, ignoranten und voller Missverständnisse behafteten modernen Wissenschaft stehe.

Ihr Buch kann sehr gut als Nachschlagwerk genutzt werden: Das Inhaltsverzeichnis weist äußerst detailliert und übersichtlich den Weg über Raum (der ganze Erdenrund mit allen Kontinenten und vielen einzeln angeführten Ländern) und Zeit (die heute noch sichtbaren Spuren aus Steinzeit und Antike). Wir können uns z.B. anhand unzähliger Darstellungen die Körperhaltungen der gebärenden Urmutter (z.B. 97 oder 182), von klagenden und trauernden Ladys [sic] (z.B. 99 oder 187), oder doppelgeschlechtlicher Figurinen (99) ein deutliches Bild der Ursprungs-Mutter machen. Dies ist Teil 1 des Buches, betitelt mit „Venus-Kunst Mutter-Kunst“. Teil II „Erinnerung an unsere Muttersprache“ handelt von den Erscheinungsformen der Ursprungs-Mutter z.B. in Zahlen (,‚die weibliche Seite der Eins, die weibliche Seite der Zwei, die Mutter-Tochter-Dyade“ 319-326), in Plätzen (wie Wasser, Garten, Berg, Höhle 343-393), in Tieren und Pflanzen (403-500), in Körperteilen oder Organen (wie Plazenta, Nabel, Hand 501-530), oder auch in Kleidungsstücken (wie Schleier, Krone, Masken, Gürtel 533-562). Es ist schier unmöglich, aus dieser Fülle nur einige Einzelaspekte anzuführen. Der Anhang mit mehr als 50 Seiten bietet Karten, umfangreiche Verzeichnisse von Literatur, Stichworten und Bildern.

Annine van der Meer möchte mit diesem Buch ein (auch akademisch gebildetes) Publikum erreichen, das sich auf die „Suche nach friedlichen Kulturen [macht], von denen die Venus-Kunst der Ausdruck ist“ (12), das die Welt als Ort des wiederhergestellten Friedens und der Harmonie sieht und überzeugt ist von der Heiligkeit des Lebens in allen Formen. Diese Leser*innenschaft kann hier einen unerschöpflichen Reichtum an Anregungen finden.

(Elisabeth Grabner-Niel)