Projekt Beschreibung

Die Sprache unsrer Ursprungs-Mutter MA

die Welle, März, April, Mai 2021

Für die Frauen, die schon lange oder auch ganz neu auf der Suche nach ihren Wurzeln sind, auf den Spuren alter Kulturen, in denen die Präsenz der großen Mutter und die Verbindung mit ihr zum Leben gehörte, ist ein großartiges Werk erschienen. Das Buch “Die Sprache unserer Ursprungs-Mutter MA …” von der Historikerin Annine van der Meer ist seit dem Frühjahr letzten Jahres auf dem deutschen Markt. Es ist aber auch ein Buch für all die Menschen, die bereit sind von den Menschen der alten Kulturen zu lernen, die schon vor 40.000 Jahren wussten, dass alles mit allem verbunden ist, die mit der Natur und allem, was ist, im Einklang lebten.

Aufgelegt wurde das Buch vom Christel Göttert Verlag in überarbeiteter, erweiterter und aktualisierter Form (engl. 2013, holländisch 2009). Herzlichen Dank an die Autorin und den Verlag! Schon unzählige Bücher wurden über die alten Kulturen bis in die Altsteinzeit geschrieben. Das Besondere an diesem Buch ist, dass in ihm eine Sammlung weltweiter Funde weiblicher Statuetten und Figurinen – die Autorin fasst sie unter dem Begriff “Venuskunst” zusammen – in einem Nachschlagewerk von über 700 Seiten zu finden ist. Annine van der Meer baut auf den in den 80 und 90iger Jahren von Marija Gimbutas bahnbrechenden Erkenntnissen auf und erweitert sie durch eigene Forschungsergebnisse unter Einbeziehung weltweiter Erkenntnisse.
Herausragend ist die Aktualität durch die Einbeziehung neuer Forschungsergebnisse von der schwäbischen Alb und der Bodenseeregion. Die 40.000 Jahre alte “Venus vom Hohle Fels” wurde 2008 auf der Schwäbischen Alb in der Hohle Fels Höhle in der Nähe von Blaubeuren entdeckt. Sie gilt als das älteste bekannte figürliche Kunstwerk in weiblicher Gestalt. Die 6000 Jahre alte 7 Meter lange “Mütterwand”, gefunden in Ludwigshafen am Bodensee, lässt Rückschlüsse auf eine egalitäre Gesellschaftsform zu.

“In diesem Buch ist die Ikonographie des göttlich Weiblichen, die auf der ganzen Welt verbreitet ist, maßgeblich repräsentiert – in einer einheitlich bildhaften Sprache”, schreibt die Autorin in ihrem Buch VenusKunst ist MutterKunst.
Im ersten Teil, der fast die Hälfte des Buches ausmacht, befasst sich Annine van der Meer mit der Venus-Kunst quer durch die Welt von der Eiszeit, über die Altsteinzeit/ Neusteinzeit bis in die hellenistische Zeit und die Symbolsprache des frühen Christentums hinein. Venus ist der lateinische Name für Aphrodite, die griechische Göttin der Liebe. Im zweiten Teil – Erinnerung an unsere Muttersprache – geht es um die Symbolsprache der Großen Mutter, ihre “Lieblingsorte”, ihren Bezug zu Pflanzen, Tieren, Zahlen und Kultgegenständen, um Körperhaltungen, Kleidung und Schmuck – und um weitere unzählige Erscheinungsformen der Venus weltweit. In beiden Teilen gibt es am Ende jedes Kapitels eine ausführliche Zusammenfassung und einen Anhang mit detaillierten Quellenangaben.

Mit der unglaublichen Fülle an weiblichen Skulpturen/Venus-Figuren, die weltweit in hoher Zahl, mannigfacher Form, Größe und Vielfalt gefunden wurden, belegt Annine van der Meer, dass die Menschheit von ihrem Ursprung bis zur Durchsetzung der patriarchalen Gesellschaftsform ihre religiöse, spirituelle Denk- und Lebensweise in weiblicher Symbolik ausdrückte.

Diese weibliche Symbolik hat verschiedene Namen: Frau, Göttin, Venus oder Große Mutter. Die Autorin nennt die Venusfigurinen Lady, ich nenne sie Göttin oder göttliche Mutter. Die Autorin beschreibt die Typen von Venusfiguren als Figurine, Statuette, Idol oder Kultstatue, wobei letztere u.a. auf die Bedeutung und Verwendung als Kultsymbol schließen lässt.

Da ich mich bereits seit über 10 Jahren mit den neolithischen Kulturen in Rumänien (Vinca, Gumelnita und Cucuteni) und seit über 20 Jahren mit der minoischen Kultur auf Kreta beschäftige, die Orte z.T. auch bereise und verschiedene Führungen vor Ort mitgemacht habe, weiß ich, dass 90% (oder mehr) der archäologischen Funde der Cucuteni Kultur, 4800 – 2700 v.u.Z., weibliche Figurinen/Idole/Göttinnen sind. In der minoischen Kultur, ca.2600 – ca.1450 v.u.Z. auf Kreta waren es ebenfalls hauptsächlich weibliche Figurinen.

Einen großen Raum nimmt in dem Buch die Sammlung und Beschreibung der Venus in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen und ihrer kontinuierlichen Entwicklung vom Naturalismus zur Abstraktion ein. Eine von sehr vielen Erscheinungsformen ist die Venus in ihren 3 Lebensphasen, das junge Mädchen, die Urmutter, die gebiert, und die Ahnfrau. Bei der Venus vom Hohle Fels wird eine Verbindung zu Geburt und Wiedergeburt vermutet. Die Ahnfrau weiß um die Prozesse von Leben und Sterben, Werden und Vergehen. Weitere Erscheinungsformen sind Venus als Schamanin (z.B. in der Mongolei), Venus als Musikerin, um nur einige Fähigkeiten und Funktionen zu nennen.

Für Europäer*innen könnte Kapitel 7 von besonderer Bedeutung sein, die Venuskunst vom Alten Europa, auch mit der Verbindung zum Nahen Osten. Eine ganz wichtige Rolle spielt die Insel Zypern als Vermittlerin zwischen Nahem Osten und Alteuropa.
“Die weiblichen Figurinen dienten verschiedenen Zwecken; so fanden sie bei verschiedenen Riten und Jahreskreisfeiern Verwendung. Sie waren Begleiterinnen der Menschen durch das Leben, und nach dem Tod wurden sie mit ihnen begraben. Die Figurinen wurden hauptsächlich in Gräbern gefunden, und zwar in Gräbern von Frauen, Männern und Kindern; auf Zypern wird angenommen, dass sie die Toten ins Jenseits begleiten sollten.” (S.260, Absatz 13) in Venuskunst ist Urmutterkunst.

In diesem Sinne hoffe ich, Sie neugierig gemacht zu haben, weiter zu forschen und mit diesem wunderbaren Werk von Annine van der Meer in die alten Kulturen, deren Philosophie und Symbolik einzutauchen. Ergänzend dazu sind natürlich viele Länder und deren archäologische Museen und Stätten eine Reise wert. Von meiner Seite sehr zu empfehlen ist das archäologische Museum auf Kreta in Iraklion, ein Paradies von Göttinnen und rituellen Kultgegenständen der minoischen Kultur oder das Cucuteni Museum in Piatra Neamti in Rumänien. Das Museum in Bukarest in Rumänien, das bis ca. 2007 unzählige Säle mit Funden alter Kulturen beherbergte (u.a. auch das Original des als sog. Denker und der sitzenden Frau bekannten Figuren), hat diese nun in Kisten verschwinden lassen, mit der Begründung, die Räume müssten restauriert werden. 2002 hatte ich das Glück diese Schätze zu sehen!

(Ingemar Rohn – Theologin, Tanzpädagogin, systemische Therapeutin)