Projekt Beschreibung
Was sehen Sie, Frau Lot?
Frankfurter Rundschau, Kultur RheinMain und Hessen vom 8. Mai 2003
“Lässt sich unaussprechliches Grauen in Kunst ausdrücken? Der Missbrauch eines Mädchens durch den eigenen Vater? Drei Künstlerinnen aus Bremen haben eine Annäherung gewagt. Jahrelang haben sich Renate Bühn, Maria Mathieu und Heike Pich unabhängig voneinander mit dem Thema sexuelle Gewalt beschäftigt, auch aus eigener Betroffenheit und aus der Erfahrung ihrer Arbeit mit Opfern. Ihre Werke werden geballt in einer Ausstellung präsentiert … Der Titel ‚Was sehen Sie, Frau Lot?’ bezieht sich auf die biblische Geschichte einer Mutter, die sich umblickt, Grässliches erblickt und zur Salzsäule erstarrt – und damit zum Schweigen verdammt ist.
Diesen Mechanismus des Sehens und Nicht-Handelns wollen die Künstlerinnen durchbrechen, mit ihren Mitteln. Sie wollen aufmerksam machen auf das Leid, auf die Täter, auf die Gleichgültigkeit oder allenfalls kurzfristige Erschütterung beim Lesen entsprechender Schlagzeilen. Die meisten Werke sind Installationen, seltener Skulpturen, Gemälde oder Collagen. Kein Zufall. Erscheinen doch vor allem Installationen als geeignete Form, Situationen sinnlich greifbar und in einer Bildersprache wiederzugeben, die sich einbrennt und nicht misszuverstehen ist. Zumal alle drei Frauen für ihre Arbeiten gerne Alltagsgegenstände verwenden, die in ihrer Symbolik so klar sind, dass wenig Spielraum für andere Deutungen bleibt.
So stellt sich die Frage ‚Was will uns die Künstlerin damit sagen?’ kaum beim Anblick der 2000 rosa angemalten Krawatten von Renate Bühn, die bedrohlich in Reih und Glied von der Decke hängen, sich dem Blick aufdrängen. Und Bühns Frühstück mit Papa löst geradezu zwangsläufig Ekel aus, verweigert sich dem Ignorieren im Vorbeigehen …
Heike Pich hat das Schweigen aus Beton geformt, den Kopf einer alterslosen Frau mit geschlossenen Augen und Lippen, das Schweigen ganzer Generationen von Müttern …
Die Besucher begegnen in ‚Was sehen Sie, Frau Lot?’ Werken, die sie emotional anpacken, die eindringlich in ihrer Bildhaftigkeit sind und darum wohl nachhaltiger wirken als ein Vortrag und gewiss tiefer als ein Fernsehfilm. Vielleicht ist die Kunst, so außergewöhnlich sie als Darstellungsform des Themas zunächst erscheinen mag, ja deshalb ein adäquates Mittel, um das zu beschreiben, was unbeschreiblich in seiner Grausamkeit ist.”
(Pamela Dörhöfer)