Projekt Beschreibung

Weibliche Wurzeln der Kulturgeschichte

Kulturette, Juni 2020

Nichts weniger als eine Korrektur der Kulturgeschichte hat sich die Historikerin Dr. Annine van der Meer vorgenommen. Seit Jahrzehnten erforscht sie Bilder und Symbole der Ur- und Frühgeschichte, sucht weltweit und findet vielfältige weibliche Darstellungen, deren Interpretationen sie nicht der patriarchalen Geschichtsschreibung überlassen will.
Die Venus von Willendorf dürfte den meisten bekannt sein. Übrigens wurde deren Darstellung 2018 von Facebook als pornografisch zensiert und auch die Venus vom Hohle Fels musste das Schicksal einer sehr sexualisierten Interpretation über sich ergehen lassen. Als sie 2009 der Öffentlichkeit als ältestes bekanntes figürliches Kunstwerk vorgestellt wurde, beschrieb man diese ca. 40.000 Jahre alte, 6 cm große Venusfigurine als Vamp und Pin-up.
Für van der Meer aber war diese in der Schwäbischen Alb gefundene Figur Beweis und Bestätigung ihrer Forschungen und Auslegungen der Kulturgeschichte. Sie sieht in ihr eine der Urmütter der Menschheit und stellt den gängigen Interpretationen führender Archäologen eine andere Lesart gegenüber, die sie fachlich fundiert begründet.

Am Beispiel der Venus vom Hohle Fels schrieb z.B. Nicholas Conard, Ausgrabungsleiter und Professor für Archäologie an der Universität Tübingen „Die Betonung auf Brüste und Vulva bei der deutschen Venus weist auf Fruchtbarkeit, Geburt und Reproduktion hin und womöglich auf männliche Fantasien…“, auch andere namhafte Archäologen interpretieren pornographische Ausrichtungen der weiblichen Darstellung. Van der Meer sieht die Venus-Kunst, worunter sie diese Bildnisse einordnet, als Ausdruck alter und moderner, egalitärer und friedlicher Kulturen. Mit ihrer Forschung und Interpretation dieser Kunst möchte sie den verlorenen Beitrag von Frauen zur menschlichen Kulturgeschichte sichtbar machen.
Wir bekommen einen differenzierten Einblick in viele Genres und Varianten von Venus-Darstellungen aus über 40.000 Jahren Menschheitsentwicklung. Dieses Buch fasst die Ikonografie des Weiblichen, wie es auf der ganzen Welt verbreitet ist, repräsentativ zusammen und geht erste Schritte einer Klassifizierung.
Man muss kein explizit wissenschaftliches Interesse haben, um mit Freude und Interesse diesen umfassenden Ausführungen zu folgen. Wir werden animiert, neue Sichtweisen und andere Sprachformen zu erproben. Es ist faszinierend zu sehen, in welchen kulturgeschichtlichen Zeiten weibliche Darstellungen ihren Ausdruck in den unter-schiedlichen geografischen Teilen der Welt fanden. Hier können wir sowohl Zeitreisen als auch Weltreisen machen, die uns in vielerlei Hinsicht weiter- und bis in unsere Gegenwart führen.

Mit dem vorliegenden, in jeglicher Hinsicht gewichtigen Werk (es bringt glatte 6 Pfund auf die Waage), hat die Historikerin ihre 2009 in den Niederlanden erschienene Ausgabe deutlich weiterentwickelt und neue Forschungsergebnisse und -erkenntnisse eingearbeitet. Mit diesen Ausführungen und 1300 Abbildungen lässt sich viele Stunden versinken!

Danke an den Christel Göttert Verlag