Projekt Beschreibung

Venus-Figur als sakrale Urmutter

Main-Spitze vom 21.7.2020

Christel-Göttert-Verlag hat Werk über die Forschung zur Entwicklung des Frauenbildes herausgegeben

RÜSSELSHEIM. „Die Sprache unserer Ursprungs-Mutter MA“ heißt ein neues Buch aus dem Rüsselsheimer Christel-Göttert-Verlag. Es ist ein großformatiges Werk, das gut 700 Seiten umfasst, angefüllt mit Abbildungen, Erläuterungen, Interpretationen sowie vielen Hinweisen zur Recherche.
Gewichtig ist dieses Buch wie eine uralte Bibel. Indes: Mit der Bibel hat es nichts zu tun. Es lässt die christliche Zeitrechnung hinter sich und widmet sich kunsthistorischer Forschung zu 40.000 Jahren Entwicklung des Frauenbildes in der Venus-Kunst. Die holländische Historikerin, Theologin und Symbolforscherin Annine van der Meer hat das Buch 2013 in englischer Sprache publiziert, nun liegt es in deutscher Übersetzung sowie aktualisiert als Nachschlagewerk zur Ur- und Frühgeschichte der Figurinen aus feministischer Sicht vor. Verlegerin Christel Göttert sagt: „Ich halte es für wichtig, den Blick weit vor die patriarchale Zeit zu richten, um alternative Lebensformen kennenzulernen. Die Tatsache, dass die frühesten Skulpturenfunde aus zigtausenden Jahren fast nur weibliche Figurinen darstellen, sagt viel über egalitäre Gesellschaften vor dem Patriarchat aus.“ Annine van der Meer schreibt im Buch: „In unserer Zeit scheint es zu einer Neubewertung von Venus- oder Urmutter-Kunst zu kommen. Venus- und Clanmutter-Kunst kann einen wichtigen Beitrag zur Demontage einer Geschichtsschreibung leisten, in der Frauen nicht vorkommen.“
Die Zeit sei reif für die Wiederentdeckung der sakralen Bedeutung der Urmutter und ihrer mütterlichen Attribute, heißt es weiter. Eine Fülle von Abbildungen kleiner Figurinen aus der Steinzeit, Statuetten auf Sockeln, lebensgroßer, griechischer Kultstatuen oder Jahrtausende alter Venus-Gefäße aus Zypern – kurz: Venus-Kunst aus aller Welt ist in dem Buch zu finden. Bauch, Schoß und Brüste seien vor der „Verschlankung“ in der Kunst in den Kulturen weltweit die dominierenden Merkmale der Venus-Figuren gewesen, die als Muttergöttinnen galten. Als Prototyp stellt die Autorin die 40.000 Jahre alte „Venus vom Hohle Fels“ vor, die nur sechs Zentimeter misst: In der Schwäbischen Alb wurde sie erst 2008 entdeckt. Annine van der Meer unterstreicht: „Das älteste, bekannte figürliche Kunstwerk in Menschengestalt ist weiblich.“ Weder diese noch die anderen Venus-Figuren seien aber erotische Liebesgöttinnen oder „Pin-ups“, als die sie häufig und gern beschrieben würden. Die Venus sei kein Vamp, sondern eine Ur-Mutter des friedlichen, egalitären Matriarchats.
Christel Göttert: „Patriarchale Sichtweise ist nicht einfach aufzugeben, denn das bedeutet Verlust von Macht. Wenn das Patriarchat aber erst 5000 Jahre alt ist, was war denn dann Jahrtausende davor?“ Das Buch lädt ein, sich Kunst- und Kulturgeschichte neu zu nähern.

(Charlotte Martin)