Projekt Beschreibung
Die Degradierung der Mütter in der Männergesellschaft am Beispiel Klara Hitlers
Mathilde, Jan/Febr. 2006
“Klara Hitler war die Mutter des ‘Führers’. Christa Mulack befasst sich in ihrem Buch mit ihrer möglichen Mitschuld an der Entwicklung Adolf Hitlers zum ‘Monster’. Sie geht dabei der Frage nach, unter welchen Bedingungen sie ihre Aufgaben als Mutter zu erfüllen hatte.
Klara Hitler war ein Mädchen vom Lande, 23 Jahre jünger als ihr Mann Alois und seine dritte Ehefrau. Innerhalb von nur zweieinhalb Jahren brachte sie drei Kinder zur Welt, die alle innerhalb von einigen Wochen an Diphtherie starben. Adolf war ihr viertes Kind, später wurden noch zwei Kinder geboren. Klara wird als ordentliche Hausfrau und Mutter beschrieben. Offenbar hat sie ihren Sohn sehr verwöhnt. Von Hitlers Vater wird berichtet, dass er im eigenen Haus eine ‘familiäre Diktatur’ errichtet habe. Er schlug Adolf und seinen Sohn aus zweiter Ehe brutal, auch Klara bekam Schläge und war ihrem Mann völlig unterworfen und ihm ergeben.
Für Christa Mulack steht Klara Hitler in ihrer totalen Abhängigkeit exemplarisch für die Ehefrau und Mutter einer ganzen Epoche. Sie sieht die patriarchale Familienstruktur der Frauen- und Kinderunterdrückung als Steigbügelhalter des faschistischen Systems; der Familienterror zu Hause diente als Nährboden für den Naziterror. Die Feier des Muttertags und die Verleihung des Mutterkreuzes sollte nicht über die Frauenverachtung des Zwangssystems im Dritten Reich hinwegtäuschen.
Bei ihren Studien bezieht Mulack sich auf die bekannte Psychotherapeutin Alice Miller, die wie keine andere auf die Folgen der brutalen Erziehungsmethoden der ‚schwarzen Pädagogik’ und die Leiden eines Kindes hingewiesen hat, das in einer lieblosen und grausamen Umgebung aufwachsen muss. Auch heute gehört für viele – zu viele – Frauen und Kinder die Gewalttätigkeit des Mannes zum festen Bestandteil ihrer Partnerschaft. Während sich laut Mulack Männer häufig von Opfern in Täter verwandeln, richten Frauen die erlittene, unverarbeitete Gewalt oft gegen sich selbst, manchmal auch gegen ihre Kinder und eher selten gegen ihre Männer. Nach wie vor fehlt es an positiven männlichen Vorbilden für die Identitätsbildung von Jungen.
Mulack deckt die Strukturen auf, welche dazu führten, dass Frauen bestimmte patriarchale Ge- und Verbote verinnerlichten – nicht zuletzt mit Unterstützung der Kirche. Frauen verloren die einstige weibliche Gebärmacht, wurden zu schwachen, sexuell verfügbaren Ehefrauen, die die Zahl ihrer Schwangerschaften nicht selbst bestimmen konnten. Sie waren und sind auch heute oft nicht in der Lage, ihre Kinder vor der väterlichen Gewalt zu schützen und wirklich verantwortungsvolle, starke Mütter zu sein. Es gelingt ihr darzulegen, wie patriarchale Strukturen bis in die Gegenwart wirken.
Christa Mulack weist darauf hin, dass wir auch heute noch weit entfernt sind von einer muttergerechten Gesellschaft und Politik und das auch der Feminismus hier eine Antwort schuldig geblieben ist. Sie prangert die grundlegende Ungerechtigkeit unseres Sozialsystems an. Mütter, die mit ihrer Schwangerschafts-, Gebär-, Nähr-, Erziehungs- und Pflegearbeit an den Kindern in erster Linie für die Einhaltung des Generationenvertrages sorgen, verfügen über kein eignes Einkommen (wenn sie nicht erwerbstätig sind) und werden im Alter mit Almosen für ihre mütterliche Arbeit abgespeist.
Für Christa Mulack gehören Mütter in die Mütter der Gesellschaft und nicht an den Rand, wohin sie gedrängt werden. Sie plädiert dafür, Mütter auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene Bedeutung und Wertschätzung zuzusprechen. Mütter müssen in die Lage versetzt werden, ihre Kinder ohne existentielle Not und Gewalt auf der Grundlage ihrer eigenen Werte großzuziehen.
Für Christa Mulack kann es nicht darum gehen, Frauen in ein männliches Lebensmodell zu pressen und ihnen nur auf diesem Weg Emanzipation zu verheißen. Sie sieht in der kapitalistischen Gesellschaft einen absoluten Mangel an Wertschätzung mütterlicher Arbeit und die Degradierung von Müttern zur Bedeutungslosigkeit. Eine lebenswerte Zukunft kann für Mulack nur im mütterlichen handeln in allen Bereichen der Kultur liegen. Wenn dieses Handeln Anerkennung erfährt, könnten auch Jungen und Männer endlich das dringend nötige Identifikationsmodell finden und damit weibliches Handeln ergänzen, statt es ersetzen zu wollen …”
(B.O.)