Projekt Beschreibung

„Was erkämpft ist, muss gepflegt werden“

Mathilde, März/April 2018

Die Rüsselsheimerin ist eine federführende Pionierin frauenpolitischen Engagements weit über die Region hinaus …

Christel Göttert (75) wurde während einer Feierstunde am 18. Februar im Landratsamt Groß-Gerau der Kulturpreis des Kreises Groß-Gerau 2017 verliehen: Die Rüsselsheimerin ist eine federführende Pionierin frauenpolitischen Engagements weit über die Region hinaus, ist kulturell, interkulturell und frauenpolitisch immens aktiv. MATHILDE sprach mit ihr.

Feminismus hat viele Facetten, viele Entstehungsgeschichten”, sagt Christel Göttert beim Gespräch in den Räumen ihres 1992 gegründeten Frauenbuchverlags. Für diesen Verlag, einen der letzten seiner Art bundesweit, und für ihren Beitrag zur Gründung des Rüsselsheimer Frauenforums, aus dem 1987 in der Opelstadt das Frauenzentrum entstand, sowie als Frau, die Frauen eine Stimme gibt – etwa auch auf der lnternetplattform “beziehungsweise weiterdenken” -, erhält sie den Kulturpreis des Kreises Groß-Gerau. ,,Das freut mich, weil der Preis hilft, frauenpolitische Themen und unsere Arbeit bekannter zu machen.”

1992 ging es Christel Göttert mit Gründung ihres Verlages (Christel-Göttert-Verlag) darum, Frauen ein Forum zu geben literarisch, philosophisch, künstlerisch und Geschichtsschreibung aus Frauensicht bekannt zu machen. “Ich will Texten von Frauen, die eine unerhörte, weil nirgendwo sonst publizierte, Relevanz haben, Gehör verleihen”, sagt sie.

Das erste Buch, das sie verlegte, war die Dokumentation der Ausstellungen von Frauenkunst 1987 bis 1991 in ihrer Heimatstadt. Als Mitgründerin des Frauenzentrums hatte sie maßgeblich dazu beigetragen, dieser Kunst zeitgenössischer Frauen dort ein Forum zu geben. “Frauen-Art” heißt der Band, der Kurzbiografien und Abbildungen der Werke der Künstlerinnen eint: “Die Motivation, das Buch zu machen, fußte auf feministischem Bewusstsein. Wir machten uns daran, Frauenkunst vergangener Jahrhunderte ans Licht zu holen und aktuelle Künstlerinnen auszustellen.” Das Buch ist eines von rund hundert, die sie seitdem verlegt hat. “Immer wieder tritt zutage, wie wenig weibliche Freiheit in der Welt verbreitet ist”, so Göttert. Aber: ,,Wo Frauen frei sind, sind alle Menschen frei”, setzt sie mit Blick auf die Matriarchatsforschung hinzu. Diese nimmt im Bestand ihrer verlegten Bücher einen nicht unbeträchtlichen Teil ein.

Mithilfe freier Mitarbeiterinnen – Bettina Bremer ist Lektorin – hält Göttert ihren Verlag am Leben: Viel Energie hat sie reingebuttert – auch finanziell. “Nicht die Erfolgsprognose, sondern die Bedeutung der Themen entscheidet, welches Buch ich verlege”, sagt sie. 2001 übernahm der Göttert-Verlag auch die Herausgabe der einzigen deutschen Zeitung für Frauenbuchkritik –  “Virginia” –, die die Verlegerin aus arbeitstechnischen Gründen 2012 an Britta Jürgs (AvivA Verlag Berlin) abgab. Internationale Vernetzung ist für Christel Göttert Usus, so dass sich etwa im Buch “Das ABC des guten Lebens” Philosophinnen aus Europa daranmachen, einseitige Begrifflichkeiten im “postpatriarchalischen Denken” mit frauenpolitisch bewusster Sprache zu hinterfragen. Nein, die Bücher im Göttert-Verlag sind keine Bestseller – es sind Bücher, die “in Differenzen denken”. Göttert: “Frauen haben ein eigenes, ein anderes Leben als Männer. Noch heute geht es um Gleichberechtigung. Wir leben auf Gesetzesgrundlagen, die von Männern gemacht sind.”

Antidiskriminierendes Engagement in vieler Hinsicht motivierte Christel Göttert früh, sich zu Wort zu melden – 1981 bis 1989 war sie Stadtverordnete in Rüsselsheim, sorgte für Aufruhr, als sie im Namen der Freien Wählergemeinschaft Frauen mitgenannt sehen wollte und für die Bezeichnung “Freie Wählerinnen und Wählergemeinschaft” plädierte. Denn: Sprache schafft Wirklichkeit. Göttert: “Sprache hat Macht und Frauen sind darin trainiert, sich mitzudenken. Kein Mann würde das mitmachen.” 1979 war Christel Göttert Mitgründerin des Frauenhauses Raunheim. “Ich war 34 Jahre, hatte zwei Kinder, doch Leben stand für mich nie außerhalb sozialer Zusammenhänge. Engagement war und ist selbst verständlich.” Selbsterfahrungsgruppen seien zur Stärkung von Frauen damals und heute wichtig. In NachbarschaftsVernetzung, in der Integration von Migrantinnen und geflüchteten Frauen ist Christel Göttert vor Ort überaus aktiv: “Die Frauenbewegung hat einiges fokussiert. Doch was erkämpft ist, muss gepflegt werden.” (Charlotte Martin)