Projekt Beschreibung

Kulturpreis des Kreises Groß-Gerau für Christel Göttert

Pressemitteilung des Kreises Groß-Gerau vom 20.2.2018

Verleihung „kommt zur richtigen Zeit“

„Sie sieht ihr literarisches Geschäft als ein Gesellschaftliches. Sie sieht ihren Anteil an Wissensvermittlung und Wissenschaftsverbreitung als politische Aufgabe.“

KREIS GROSS-GERAU – “Ich empfinde einen tiefen Dank für all die wohlgemeinten, zugewandten Worte. Ich fühle mich wie in einem wunderbaren Sommerregen. Mir würden die Worte fehlen – zum Glück habe ich sie aufgeschrieben.” So begann die Rüsselsheimerin Christel Göttert, Kulturpreisträgerin 2017 des Kreises Groß-Gerau, ihre Dankesrede bei der Preisverleihung am Sonntag, 18. Februar, im Groß-Gerauer Landratsamt.

Die 75 Jahre alte Frauenrechtlerin und Verlegerin dankte den Laudatoren sowie ihren Weggefährten, an erster Stelle ihrem Ehemann Helmut, und Gefährtinnen aus der Verlagsszene: Lektorinnen, Setzerinnen, Grafikerinnen. Sie dankte Ulrike Cramer von der Kreisverwaltung, die in den achtziger Jahren die Frauengruppen aus dem Kreis zusammenführte. Und sie dankte dem Kreiskulturbüro für die Organisation der Feier und für die Einladung der passenden musikalischen Gäste: Kick  La Luna – in diesem Fall das Duo mit Elke Voltz und Uli Pfeifer – machte feministische Gute-Laune-Musik (Voltz: “Wir spielen heute nur unsere Zugaben.”)

Die Frauenband besteht seit 25 Jahren – genau so lang wie der Christel Göttert Verlag, einer der wenigen heute noch bestehenden Frauenbuchverlage.

Die Titel und Refrains der bei der Kulturpreisverleihung vorgetragenen Songs sprechen für sich: “Ich tanze aus der Reihe”, “I know that I can make it”, “Es geht nicht ohne uns” oder “Es riecht nach Aufbruch” – all dies passte auch auf Christel Göttert und ihre jahrzehntelange Arbeit als Kommunalpolitikerin, Autorin, Netzwerkerin, Verlegerin und Mitbegründerin von Wildwasser, Frauenforum/-zentrum und Frauenhaus in ihrer Stadt und der Nachbarschaft.

Gleich drei Mal wurde Götterts Wirken am Sonntag gewürdigt. Zunächst vom Landrat. Thomas Will fragte: “Feministische Politik und Kultur: Geht das zusammen? Meine Antwort ist ein klares Ja. Aus einem frauenpolitisch bewegten Leben entsteht Kultur – und künstlerisches Arbeiten setzt politische Zeichen.” Die Arbeit der nun Geehrten passe zu dem breiten Kulturverständnis, das im Kreis Groß-Gerau herrscht, sagte der Landrat. “Bei uns geht es auch um die Kultur des Zusammenlebens, um kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft, um Kulturpolitik und um kulturelle Bildung.” Schon die bisherigen Kulturpreisträger des Kreises seien für ihr umfassendes Kulturverständnis geehrt worden. Dies treffe auch wieder bei Christel Göttert zu, die eben nicht nur schreibt und feministische Bücher verlegt, sondern die Ausstellungen, Lesungen und Filmveranstaltungen in Rüsselsheim organisiert, die Integration mithilfe von Kunst und Kultur befördert.

Das hat auch Kultur 123 Stadt Rüsselsheim dazu bewogen, Christel Göttert für den Kulturpreis 2017 des Kreises Groß-Gerau vorzuschlagen. Stefanie Zendel, Leiterin der Volkshochschule, zählte die Erfolge der Geehrten auf, beschrieb die Preisträgerin mit folgenden Worten. “Soziale Gerechtigkeit, das Ringen um nachhaltige pazifistische und ökologische Politik sind für Christel elementare Anliegen. Das Miteinander von Frauen und Männern, von Alt und Jung, der Dialog auf Augenhöhe zwischen Menschen, unabhängig von Herkunft und Religionen, liegen ihr am Herzen. Streitbar, offen und immer das Ziel vor Augen: eine Gesellschaft, in der Freiheit und insbesondere weibliche Freiheit als Grundwert zum Tragen kommt”, sagte Stefanie Zendel.

Die VHS-Leiterin nutzte die Gelegenheit, auf den Thementag “Weibliche Freiheit” am 16. März im Rüsselsheimer Rathaus anlässlich des Weltfrauentags hinzuweisen – natürlich mit Beteiligung von Christel Göttert.

Laudator Prof. Dr. Wolfgang Schneider zeichnete kurz und prägnant Meilensteine der Frauenbewegung und den Lebensweg Christel Götterts nach. “Der Preis kommt zur richtigen Zeit”, sagte er, denn noch immer gebe es Ungleichheit, Ungerechtigkeit und die Unmöglichkeit, Familie und Beruf “gelingend zu gestalten”. Die Preisträgerin hat in den vergangenen Jahrzehnten “vorne dran und mitten drin” an der Seite der Frauen gestanden, dem weiblichen Blick auf die Welt Ausdruck verliehen, Schneider: “Ihre Biografie ist eine feministische, geprägt von einer Vision, bestimmt von einer Mission, getragen von einer Passion!”

Dabei, so betonte Wolfgang Schneider das, worauf Christel Göttert selbst großen Wert legt, habe die Kulturpreisträgerin nicht allein, sondern immer mit anderen gewirkt. Sie organisierte Netzwerke: sei es mit Frauen, die bei Opel arbeiteten, sei es mit Landfrauen, mit Christinnen beider Konfessionen, mit Nachbarn oder in der Auseinandersetzung um die Startbahn West des Frankfurter Flughafens.

Das Kulturverständnis Götterts beschrieb ihr Laudator ähnlich wie vorher Landrat Will: “Sie sieht ihr literarisches Geschäft als ein Gesellschaftliches. Sie sieht ihren Anteil an Wissensvermittlung und Wissenschaftsverbreitung als politische Aufgabe.” Und das, was sie sich vorgenommen habe, packe sie an: wie zum Beispiel aktuell die Herausgabe des aus dem Englischen übersetzten Buches “The language of MA the primal mother” von Annine van der Meer. Denn Christel Göttert sei es wichtig, so ihre eigenen Worte, “das Wissen der Frauen zu erhalten, die uns vorgelebt haben”. Und das darf ruhig auch Männer interessieren.

An die Männer mit politischer Entscheidungsgewalt im Saal richtete Christel Göttert denn auch in ihrer Dankesrede den Appell, sich Frauenthemen anzunehmen. Und neben der Kreis-Frauenkommission auch wieder Frauentreffen in “freier, unabhängiger Weise” ins Leben zu rufen: “Einmal im Jahr wäre das schön.”

Am Schluss gab es nicht nur Mitklatschen im Stehen bei Kick La Luna, sondern auch Beifall im Stehen für Christel Göttert. Die feierte am Ende des offiziellen Programms beim Imbiss noch weiter mit ihren Gästen, unter ihnen die “Wilden Weiber aus dem Odenwald” und zwei Frauen, Schöpferinnen des Züricher Labyrinthplatzes, die extra aus der Schweiz angereist waren.