Projekt Beschreibung

FEMINISTISCHE ERINNERUNGSKULTUR

pw-portal.de, portal für politikwissenschaft hamburg, 15.12.2010

Zum 10. Todestag von Erika Wisselinck

Vor 10 Jahren – am 4. Januar 2001 – starb im Alter von 74 Jahren die Publizistin Erika Wisselinck auf Madeira. Sie wurde wunschgemäß auf der benachbarten Atlantikinsel Porto Santo, ihrem Alterswohnsitz, beigesetzt.

Bei Feministinnen ist Erika Wisselinck vor allem als kongeniale Übersetzerin der Bücher der amerikanischen Philosophin und Theologin Mary Daly bekannt. (Gyn/Ökologie, Frauenoffensive 1981).

Als sich Erika Wisselinck gegen Ende der 70er Jahre bewusst und aktiv der Neuen Frauenbewegung anschloss, war sie über 50 Jahre alt und hatte bisher erfolgreich als Journalistin, Hörfunkautorin, Politikerin und als Studienleiterin in der Evangelischen Akademie Tutzing gearbeitet. Während dieser Tätigkeiten hat sie in den frühen 60er Jahren bereits Themen bearbeitet, die erst Jahre später von der Neuen Frauenbewegung in den gesellschaftlichen Raum gerückt wurden.

Erika Wisselinck gehört der Generation Frauen an, die in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren, ihre Jugend im nationalsozialistischen BDM und Arbeitsdienst verbringen mussten.
Es ist die Frauengeneration, die in der Nachkriegszeit, die Trümmer der nationalsozialistischen Diktatur beseitigte, sei es als Trümmerfrau Schutt und Steine wegräumte, oder als “Trümmerfrau”, sich mit der politischen und geistigen Hinterlassenschaft des Nazi-Regimes herumschlagen musste. Erika Wisselinck zählt zu den “Trümmerfrauen” der letzten Kategorie.

Die Frauenforscherin Gabriele Meixner hat die Biografie von Erika Wisselinck geschrieben. Die Autorin gehört der Generation der Neuen Frauenbewegung an, sie war von Anfang an aktiv beteiligt. Sie kannte Erika Wisselinck persönlich, war ihr zum erstenmal im Jahr 1979 im Verlag Frauenoffensive begegnet.
Die Nachlassverwalterinnen haben sie nach dem plötzlichen Tod von Erika Wisselinck beauftragt, die Biografie zu schreiben.

Gabriele Meixner hat über Jahre recherchiert, den umfangreichen Nachlass durchgearbeitet, Briefe und Tagebücher gelesen (Wisselinck führte seit dem Jahr 1944 Tagebuch) und 80 Interviews mit WeggefährtInnen und ZeitgenossInnen geführt. Im Frühjahr 2010 ist das Buch unter dem Titel “Wir dachten alles neu. Die Feministin Erika Wisselinck und ihre Zeit” im Christei Göttert Verlag erschienen.
Das Buch zeigt nicht nur die Lebensgeschichte der Erika Wisselinck, schildert ihren geistigen Wagemut, ihre Lebensfreude und das Fehlen jeglicher Larmoyanz, es ist, worauf der Titel bereits hinweist, ein Beitrag zur Geschichte der Frauenemanzipation im 20. Jahrhundert. Der Autorin ist es gelungen, an der Biografie Erika Wisselincks aufzuzeigen, welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten eine Frau hatte, die sich von Jugend an als Einzelkämpferin emanzipieren musste.

Erika Wisselinck wird im Jahr 1926 in Görlitz geboren. Die Familie des Vaters ist von preußisch-protestantischen Wertvorstellungen geprägt, der Sohn wird deutschnational orientierter Berufsoffizier.
Die Mutter kommt aus dem Bildungsbürgertum. Sie hat eine Lehrerinnenausbildung, übt den Beruf aber nicht aus. Der Beruf des Vaters bringt es mit sich, dass die Familie oft den Wohnort wechseln muss. Die längste Zeit verbringt Erika Wisselinck in Dresden, wo sie das Gymnasium besucht. Nach Kriegsende lebt die Familie in Schleswig-Holstein.
Die Tochter nimmt in Hamburg eine Arbeit als Sekretärin auf. Sie muss zum Familienunterhalt beitragen, denn der Vater erhält als ehemaliger General der Wehrmacht erst 1951 seine Pension. Da ist die Tochter endlich frei und kann sich ihren Traum, als Journalistin zu arbeiten, erfüllen. 1954 zieht sie nach München, genießt das gesellschaftliche und kulturelle Leben, das die Stadt bietet – und macht Karriere. Erika Wisselinck schreibt regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung, 1959 wird sie Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk. Ihre bevorzugten Arbeitsfelder sind die Zeit des Nationalsozialismus, die Ausshnung mit Polen, der Conterganskandal. Vor allem aber beginnt sich in ihrer journalistischen Tätigkeit der Schwerpunkt Frauen herauszukristallisieren.
Ihre Arbeit als Hörfunkjournalistin wird gekrönt durch die Mitarbeit am legendären Notizbuch. Das 1968 am Bayerischen Rundfunk gegründete Notizbuch war die erste Frauensendung im deutschen Hörfunk, die sich mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzte. Für das frauenpolitische Magazin Zeitpunkte, das Magdalena Kemper im Jahr 1979 beim SFB in Berlin initiierte, war das Notizbuch Vorbild gewesen.

Die SPD, in die Erika Wisselinck 1971, während der Kanzlerschaft Willy Brandts, eingetreten war, wurde auf sie aufmerksam. 1972 kandidierte sie als erste Frau in Bayern für das Amt des “Landrats” im Kreis München-Land. Sie verliert die Wahl, gewinnt aber sensationelle 42 Prozent und wirkt 12 Jahre als Kreisrätin.

In der Biografie werden aber auch die Enttäuschungen, die Erika Wisselinck erfahren hat, nicht verschwiegen, auch die nicht, die ihr von Seiten von Frauen zugefügt werden. Die Erfahrung, die sie mit Alice Schwarzer machen muss, hat sie als größte Kränkung in ihrem beruflichen Leben empfunden.

Sie hatte, wie viele gestandene Journalistinnen, große Hoffnungen in die feministische Zeitschrift EMMA gesetzt und schon bei den ersten Treffen an der Entstehung mitgearbeitet.
Im Januar 1978 wird ihr von Alice Schwarzer die feste Mitarbeit auf Honorarbasis angeboten. Sie stürzt sich mit Elan in die Arbeit. Für sie scheint ein Wunsch in Erfüllung zu gehen, endlich feministisches Bewusstsein mit ihrem know-how als Journalistin verbinden zu können. Aber der Wunsch geht nicht in Erfüllung. Nach drei Monaten intensiver Arbeit sieht sie sich gezwungen, wegen der autoritären Strukturen und arbeitsrechtlichen Missstände ihre Arbeit bei EMMA einzustellen.

Sie ist nicht die erste und war auch nicht die letzte Mitarbeiterin, die ähnliche Erfahrungen bei EMMA gemacht hat. Trotz ihrer bitteren Enttäuschung verliert Erika Wisselinck nicht ihren Humor. Ihren Kündigungsbrief schließt sie mit den Worten: “Es tut mir leid, weil Ihr so in der Klemme sitzt – aber auf irgendeine Weise wird EMMA immer in der Klemme sitzen – KLEMMA sozusagen.”

Es ist Gabriele Meixner gelungen, darzustellen, welche Brückenfunktion Erika Wisselinck ausgeübt hat zwischen der Zeit der Frauenemanzipation der 20er Jahre und der Neuen Frauenbewegung. Es ist wichtig für uns, die Generation der Neuen Frauenbewegung, und auch für die heutige Generation von Frauen und Mädchen, die “Gender Mainstream-Generation”, dass die weißen Stellen gefüllt werden, die zwischen Weimarer Republik und dem Beginn der Neuen Frauenbewegung liegen.
Einer der interessantesten und spannendsten Aspekte im Buch ist, dass Erika Wisselinck in der Zeit vor der organisierten Neuen Frauenbewegung unbehindert kritische feministische Artikel schreiben, Hörfunksendungen und Seminare veranstalten konnte, die wohlwollend von Männern gefördert wurden.

Das hatte ein jähes Ende: Je sichtbarer die Frauenbewegung mit ihren Projekten und Forderungen wurde, desto stärker entwickelte sich ein massiver Antifeminismus in den Mainstream-Medien.

Das spannende Buch über Erika Wisselinck und ihre Zeit sollte zur Schullektüre gemacht werden.

(Reingard Jäkl)