Projekt Beschreibung

Feministische Selbstbestimmung

Virginia, Frühjahr 2019

Rina Nissim ist eine zentrale Frauenpersönlichkeit innerhalb der internationalen feministischen Frauengesundheitsbewegung. Mit ihrem Buch Eine zeitgemäße Hexe. Frauen und Gesundheit – Zur weltweiten Selbsthilfebewegung liegt nun eine besondere (Auto-)Biografie dieser Bewegung, die Teil der zweiten Frauenbewegung ist, in deutscher Sprache vor. Das Verdienst des Buches liegt zum einen darin, dass hier Frauengeschichte schriftlich festgehalten wird und somit das Wissen, zentrale Erkenntnisse und Erfolge für nachfolgende Generationen gesichert sind. Zum anderen liegt es in der besonderen Erzählweise der Autorin, die die Geschichte der weltweiten Selbsthilfebewegung »Frauen & Gesundheit« mit ihrer eigenen, subjektiv-individuellen Geschichte und Biografie als »zeitgemäße Hexe« verbindet. Diese Art und Weise des Erzählens – eine radikale Umsetzung des feministischen Credos „Das Private ist politisch“ – spiegelt das zentrale Moment der internationalen Frauengesundheitsbewegung: die Verbindung von Individuum und Kollektiv / einzelner Frau und (Selbsthilfe-)Gruppe.

Im Rahmen der Frauengesundheitsbewegung entstanden ab den 1970er-Jahren weltweit Frauengesundheitszentren als Orte feministischer Selbsthilfe, die sich gegenseitig unterstützen, miteinander vernetzen und regelmäßig internationale Treffen organisieren. Die Autorin selbst ist Mitgründerin des Genfer „Frauen-ambulatoriums“ (1978). Zentrales Instrument und zugleich Symbol der Bewegung ist das Spekulum, welches in Kombination mit einem Spiegel jeder Frau die Selbstuntersuchung ermöglicht, d. h. ihr die Gelegenheit bietet, den eigenen Muttermund selbst zu betrachten. Diese Selbstuntersuchung kommt einer Wiederaneignung des eigenen Körpers gleich, ermöglicht den Wandel vom Objekt zum Subjekt der Untersuchung und entfaltet so eine empowernde = selbstermächtigende Wirkung für die Frauen.

Die Notwendigkeit der Bewegung erwächst aus der von der Autorin immer wieder entlarvten Ambivalenz klassischer gynäkologischer Medikation wie Pille, Pille danach (RU 486) und Ersatzhormone: Obwohl diesen eine positive Grundidee zugrunde liegt, bergen die Medikamente große Gefahren und Risiken und beschränken daher die weibliche Freiheit in gleichem Maße, wie sie diese versprechen. Die von der internationalen Frauengesundheitsbewegung in einem kollektiven Prozess entwickelte Lösung dagegen ist ein aktiver Weg der Frauen für ihre Gesundheit und Heilung durch Selbsthilfe(-gruppen), Selbstbestimmung, Solidarisierung der Frauen sowie Unterstützung durch ausgebildete Gesundheitsarbeiterinnen in den Frauengesundheitszentren. Spekulum und Selbstuntersuchung werden hier zum Ausgangspunkt einer feministischen Naturheilkunde, die hauptsächlich kollektiv — in Selbsthilfegruppen — angewandt wird und sich insbesondere auf folgende Gebiete erstreckt: Verhütung, Schwangerschaftsabbruch, Heilung gynäkologischer Entzündungen, Brustkrebs, Wechseljahre. Die dabei entwickelten Heilmethoden hat die Autorin bereits in vorangegangenen Büchern publiziert.

Das vorliegende Buch ist ein Plädoyer für die Selbsthilfe und zugleich eine Chronik der Frauengesundheitsbewegung: Die Autorin widmet den internationalen Treffen »Frauen & Gesundheit«, deren erstes im Jahr 1977 in Rom stattfand, sowie ihren (persönlichen) Erfahrungen innerhalb der Frauengesundheitsbewegungen in Costa Rica und Indien jeweils eigene Kapitel.

Bereichert durch ein Nachwort von Dagmar Schultz, Mitgründerin des Feministischen Frauengesundheitszentrums (FFGZ) Berlin, das die Besonderheiten der Frauengesundheitsbewegung in Deutschland skizziert, ist dieses Buch ein Geschenk für heutige Feministinnen, denn es zeigt, woher wir kommen — und wohin unser weiterer Weg führen muss: Raus aus patriarchaler Fremdbestimmung!

(Dr. Beatrice Osdrowski)