Projekt Beschreibung

Natalität statt Mortalität

Virginia, Herbst 2006

In der christlichen Theologie hat das Sterben einen wesentlich höheren Stellenwert als das Geborenwerden. Es ist der feministischen Theologie zu verdanken, dass sich hier allmählich ein Perspektivenwechsel vollzieht. “Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.” (Joh 16,21) Jesus verwendet in diesem Gleichnis die Erfahrung einer Frau während der Geburt, um die Neuschöpfung zu veranschaulichen, die seine Wiederkehr bringen wird.

Hanna Strack, Pfarrerin i.R. und langjährige Herausgeberin und Verlegerin des Frauen Kirchen Kalenders, gibt dem schöpferischen Prozess des Gebärens seine spirituelle Bedeutung wieder. Dabei bezieht sie sich auf eine Aussage der Philosophin Hannah Arendt aus ihrem Werk “Vita activa oder Vom tätigen Leben”: “Wegen dieser Einzigartigkeit, die mit der Tatsache der Geburt gegeben ist, ist es, als würde in jedem Menschen noch einmal der Schöpfungsakt Gottes wiederholt und bestätigt.” Geborensein und nicht Sterblichkeit des Menschen soll als existentielle Grundkategorie verstanden werden – Natalität statt Mortalität.

Der zweite Perspektivenwechsel betrifft den frauenfeindlichen Eva-Mythos und seine unselige Wirkungsgeschichte. In der androzentrischen Deutung der Schöpfungsgeschichte ist das Weibliche verführbar und verführerisch. Dafür trifft die Frau die Strafe, unter Schmerzen Kinder zu gebären. Eine radikal andere Eva wird aber bei genauer Exegese der hebräischen Bibel sichtbar: Hawwah, die Mutter alles Lebendigen.>

Der dritte Perspektivenwechsel vollzieht sich bei der Betrachtung der heute üblichen technisierten Klinikgeburt im Gegensatz zu einer hebammengeleiteten (Haus)Geburt, die allerdings derzeit nur in 2% der Fälle praktiziert wird. Die Erfahrungen von Hebammen, die Geschichte ihres Berufs, ihre soziale und spirituelle Rolle stehen folgerichtig im Zentrum dieses Buches. In früheren Kulturen, in denen eine Göttin verehrt wurde, war die Hebamme zugleich Priesterin. Noch im Alten Testament hatte sie, wie die Geburtsgeschichte von Moses zeigt, eine sehr eigenständige Funktion. Immer war sie Mitglied einer rituellen Hilfsgemeinschaft von Frauen. Dass Hebammen wegen ihres Wissens zur Zeit des Hexenwahns grausam verfolgt wurden, ist hinreichend bekannt. Aber auch in nachreformatorischer Zeit standen sie als Amtspersonen unter der Kuratel von Kirchenmännern. Dass sie berechtigt waren, die Nottaufe zu spenden, war für diese ein Problem. Heute ist die Hebamme weitgehend zum Hilfsberuf der Geburtsmedizin degradiert.

Die theologische Untersuchung der Gebets- und Liedliteratur im Protestantismus der frühen Neuzeit zeigt, wie negativ die Bewertung des Frauenkörpers war. Gott straft die Frauen für die Erbsünde, die Eva verschuldet hat. So soll die Gebärende singen: “Zwar ich und meine Leibesfrucht / sind ungeratne Kinder / doch nehm ich, Herr! zu dir die Flucht …” Nach der Dekonstruktion dieser androzentrischen Theologie der Geburt (Frauen sind schwach, stehen am Rand) bieten sechs Interviews mit Hebammen Freiraum für die Selbstartikulation von Frauen. Vorwiegend aus dem Raum Schwerin stammend, wo die Autorin lebt, sind sie z.T. kirchlich sozialisiert, teils atheistisch, meist mit DDR-Erfahrung.

Die Auswertung der Interviews zeigt, dass alle “das Besondere” einer Geburt erleben. Ergriffenheit, Seligkeit, Grenzerfahrung, Wunder des Lebens, dichte Atmosphäre sind oft genannte Begriffe. “Die Frau ist Mitschöpferin durch die Kraft und die Gelassenheit und den Mut.” Ein theologischer Exkurs über das “Heilige” und ein interessanter Ansatz einer neuen Christologie auf der Basis von Geburtserfahrungen vertiefen diese Erkenntnisse.

Die Forderung der Autorin an die Kirche ist, die Todesbesessenheit und die Geburtsvergessenheit zu überwinden und Geburtserfahrungen der Frau einzubeziehen, besonders in die Taufliturgie und in das Gottesbild, beispielsweise: “Gott, unsere Mutter, / Du trägst unser Leben in Dir, / nährst uns an Deiner Brust / und lehrst uns, allein zu gehen…” (Janet Morley).

65 Seiten Anmerkungen und Literaturverzeichnis zeugen vom wissenschaftlichen Niveau des Buchs. Im Anhang finden sich neben dem genauen Wortlaut der Interviews Liturgien für Segensfeiern für Hebammen und Schwangere sowie meditative Texte rund um den Themenbereich Schwangerschaft und Geburt. Dabei sind auch Väter und Großeltern einbezogen, die Autorin thematisiert aber auch Kinderlosigkeit, Fehlgeburt, Sorge und Trauer. Es ist hervorzuheben, dass an keiner Stelle die Frau auf ihre Gebärfähigkeit reduziert wird.

Am 9. Oktober wird Hanna Strack 70 Jahre alt. In einer Feier ehrt sie dabei auch den 100. Geburtstag ihrer Namensschwester Hannah Arendt. Herzlichen Glückwunsch!”

von Christa Mathies