Projekt Beschreibung

Wie mit dieser Diagnose leben?

Virginia, Herbst 2009

Die Diagnose “Krebs” ist für die meisten Menschen verbunden mit dem unmittelbaren Gedanken an Schmerzen, Siechtum und Tod. Genauso wenig wie diese Verbindung zwingend ist, lässt sie sich einfach leugnen. Die Diagnose Krebs ist kein Todesurteil, aber Krebs kann zum Tod führen. Das Auftauchen dieser Krankheit in unserem Leben (als Kranke, als Familienangehörige, als FreundInnen) hat trotz – oder gerade wegen – aller Fortschritte in Medizin und Forschung weiterhin etwas zutiefst Beunruhigendes und Unerklärliches. Deshalb, und weil wir mitten im Leben ungern übers Sterben nachdenken wollen, umgeben die Krankheit “Krebs” so viele Ängste, Tabus und Sprechverbote. Was zwar nachvollziehbar, angesichts einer alles andere als selten auftretenden Diagnose aber vor allem tragisch ist.

Denn jede Entscheidung einer Krebspatientin in Bezug auf ihre Krankheit und den Umgang scheint potenziell eine Entscheidung auf Leben und Tod zu sein. Welche Ärztin? Welche Therapie? Welche Klinik? Wie leben, wenn die Statistiker das Sterben prognostizieren? Wie soll eine Patientin souverän zu autonomen Entscheidungen finden, wie könnte eine Freundin ihr dabei helfen? “Seiltanz” ist als Titel für den autobiographischen Bericht von Felicianna Rosenbusch und Kaie Haas da mehr als treffend. Beide Frauen, die an Brustkrebs erkrankte Felicianna und ihre Partnerin Kaie, sind in der Tat unablässig gefordert, einen Hochseilakt zu vollbringen. Konfrontiert mit der Diagnose gilt es, Ärztinnen zu finden, Entscheidungen über Therapien zu treffen, und bei all dem die eigenen Bedürfnisse nach einem selbstbestimmten Leben, nach Autonomie und einer gleichberechtigten Beziehung zu balancieren. Mit ihrer Entscheidung, dem Drängen der konsultierten Ärztinnen nicht nachzugeben und auf eine Operation zu verzichten, begibt sich Felicianna zudem in besonderer Weise in Opposition zur vorherrschenden Meinung. Schwer genug, eine Ärztin zu finden, die neben fachlicher Kompetenz auch emotional auf die Ausnahmesituation einzugehen weiß, in der sich ihre Patientin befindet. Viel schwerer noch, eine Ärztin zu finden, die die Entscheidung gegen den schulmedizinischen Weg respektiert und toleriert. Wie leider häufig, wenn Krebspatientinnen über ihre Erfahrungen mit MedizinerInnen berichten, kann man bei der Lektüre oft nur den Kopf schütteln über ein Verhalten, das mit “unsensibel” noch freundlich umschrieben ist. Feliciannas konsequenter Weg verdient da umso mehr Respekt – sie selbst stößt damit in ihrer Umgebung allerdings häufig auf Unverständnis. Wie aber empfindet die Partnerin diese Entscheidung? Dadurch, dass beide Frauen die Ereignisse abwechselnd schildern, wird deutlich, dass sich natürlich auch die Perspektiven unterscheiden und dass der Umgang mit der Krankheit ständig neu verhandelt werden muss. Kaie trägt die Entscheidung ihrer Partnerin mit, dennoch hat sie auch mit ihrer Unsicherheit darüber zu kämpfen. “Es gibt keine klare Antwort”, stellt sie fest. Und das auszuhalten kostet Kraft.

Unsicherheit und Überforderung, das Gefühl den Herausforderungen, die die Krebserkrankung stellt, nicht gewachsen zu sein – diese Themen durchziehen das Buch und es ist bewundernswert, mit welcher Ehrlichkeit die Autorinnen sich ihren Gefühlen stellen. Diese Herausforderungen betreffen auch die Beziehung zueinander (nicht umsonst der mehrdeutige Untertitel des Buches) und die Sorge für sich selbst. Es ist ja keineswegs so, als ob die Ecken und Kanten, die wohl jede Beziehung kennt, durch die Krebsdiagnose plötzlich rundgeschliffen und belanglos würden. Ganz im Gegenteil bringt die Konfrontation mit der Krankheit und ihren Symptomen die beiden Frauen mehr als einmal an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Denn zur Krankheitssituation gehört auch die Auseinandersetzung mit den eigenen (von der Krankheit unabhängigen) Bedürfnissen, Träumen und Wünschen, die mit der Diagnose ja nicht einfach verschwinden, sondern, ganz im Gegenteil, radikal hinterfragt werden. Felicianna und Kaie nehmen die Herausforderungen gemeinsam an; die eher “äußerlichen”, die das Suchen nach der “richtigen” Therapie betreffen und die “innerlichen”, die die Frage betreffen, wer wir sind und wie wir leben wollen – auch und gerade im Angesicht einer schweren Krankheit. Über acht Jahre lebt und überlebt Felicianna mit der Diagnose; zwischenzeitlich bilden die Knoten in ihrer Brust sich fast völlig zurück. Das Risiko, an der Krankheit zu sterben, ist ihr dennoch immer bewusst. “Ich weiß auch, dass ich es nicht in der Hand habe, meinen Krebs zu steuern”, resümiert sie. Aber das hält sie nicht davon ab, ihren eigenen, ganz individuellen (naturheilkundlichen) Weg zu suchen, um mit der Krankheit zu leben …

Sowohl “Seiltanz” als auch “Das Zimmer” umkreisen ähnliche Themen. Aus Sicht der Patientin die (unendlich schwierige) Frage, wie der eigene selbstbestimmte Weg im Umgang mit Krebs aussehen kann. Aus der Sicht der Freundin (Partnerin, Angehörigen …) die Frage, wie weit dieser Weg mitgetragen und unterstützt werden kann – ohne sich dabei selbst zu verlieren. Und obwohl der Umgang der Autorinnen mit ihrem Thema in Tonfall und Textform unterschiedlich ausfällt, bleibt ein gemeinsames Anliegen, das die Auseinandersetzung (und Lektüre) lohnt: Das Leben mit Krebs – allein und in Beziehung – sollte stärker im Vordergrund unserer Überlegungen stehen als das Sterben daran. (Susanne Webel)