Projekt Beschreibung

Käthe, meine Mutter

Virginia, März 2002

“Liebe Marianne,

während meines Winterurlaubs habe ich Dein jüngstes Buch ‚Käthe, meine Mutter’ mit Spannung gelesen. Es war genau die richtige Literatur für lange Winterabende.

Um die Herkunft mütterlicher- und väterlicherseits Deiner Mutter Käthe zu klären, besuchtest Du alle Orte Deiner Vorfahren, auch solche, die Dir erst durch Deine Arbeit an dem Buch bekannt wurden. Du folgtest den Spuren Deiner Altvorderen, und ich folgte Dir auf Deinen Recherchereisen, die Du mit der Bahn und zum Teil mit dem Fahrrad unternommen hast: in den Spreewald nach Maust, wo Deine Großmutter Anna ihre Jugend verlebte, dann nach Westpreußen an die Weichsel zu den Vorfahren Deines Großvaters Richard. Du lässt Deine LeserInnen teilhaben an den Ausflügen, indem Du die Landschaften und Orte beschreibst, die Du vorfandest. Ich folgte auch Deinen Bildern und Gedanken an frühere Geschehnisse, von denen Dir die jüngeren Angehörigen Deiner Großeltern erzählten.

Wahrscheinlich als ein Hinweis auf das 1991 von Dir verfasste Buch ‚Im Netz der Zauberer – Eine andere Geschichte der Familie Mann’, schreibst Du in Deiner Vorbemerkung zum Käthe-Buch: ‚In der Familie meiner Mutter schrieb niemand große Werke, wurde niemand berühmt.’

Dein Buch über Dich und Deine Mutter Käthe ist zwar eine subjektive, unspektakuläre Biografie, aber Du wünschtest mit dieser Geschichte der einen oder anderen Leserin eine Anregung zu geben, sich ‚ebenfalls einmal auf eine Spurensuche nach der Geschichte der eigenen Mutter zu begeben.’

Ich habe mich als Leserin gern auf das Leben Deiner Käthe-Mutter eingelassen, auch wenn ich, das muss ich gestehen, anfangs etwas verwirrt darüber war, Interna über eine Familie zu erfahren, die mir zunächst fremd war.

Aber schon bald machte ich mich mit Deiner Geschichte vertraut. Ich hatte es insofern nicht schwer, als ich derselben Generation wie Du angehöre und die meisten Schauplätze in Berlin, Spreewald und Westpreußen aus eigener Anschauung kenne. Auch meine Eltern sind im Ersten Weltkrieg in Berlin aufgewachsen, und ich lebte bis zu meinem 21. Lebensjahr bei ihnen in Berlin.

Du hast das Leben Deiner Mutter erst nach ihrem Tode zu rekonstruieren begonnen. Du hast in jahrelanger Fleißarbeit Steinchen für Steinchen gesucht und als Mosaik zusammengefügt und hast postum den Versöhnungsprozess zwischen Mutter und Tochter in Gang gesetzt und erfolgreich beendet.

Du erforschtest Käthe Höppners Leben, ihre Ehe, ihre Träume, ihre Zeit als Tochter und später als Mutter zweier Töchter, und ich erfuhr immer wieder auch viel über Dich selbst.

Deine Mutter Käthe kam mit 11 Jahren, 1922, zur Jugend- und Wandervogelbewegung, wo sie das Erleben der Natur zusammen mit anderen Mädchen kennen lernen und teilen konnte.

Aus der Literatur über die Jugendbewegung erfuhrst Du, ‚dass dieses Ideal der “reinen” Kameradschaft zwischen den Geschlechtern tatsächlich ein hohes Ziel war. In der frühen Wandervogelbewegung vor 1914 war dies ein Protest gegen die heuchlerische bürgerliche Sexualmoral und brachte vor allem für die jungen Frauen eine enorme Befreiung mit sich. Sie konnten gleichaltrigen Männern begegnen, mit ihnen singen, tanzen – ohne zu befürchten, damit ihre “Ehre” zu verlieren.’ Du hast auch für Deine LeserInnenschaft unter anderem die Erkenntnis festgehalten, dass in den 20er Jahren nur die Kinder eine Berufsausbildung absolvieren konnten, deren Eltern das Geld hatten, diese zu bezahlen. Je länger die Ausbildung dauerte, desto teurer war sie. Käthe wurde technische Zeichnerin, weil die Ausbildung nur ein Jahr dauerte und deshalb für die alleinerziehende Mutter Anna erschwinglich war.

Käthe lernte in der Wandervogelbewegung ihren Emil Höppner, Deinen und Deiner jüngeren Schwester Christine zukünftigen Vater kennen.

Während ihrer Verlobungszeit pachteten Käthe und Emil eine Laube in einem Berliner Schrebergarten, die spätere Kolonie Tsingtau, und bewohnten dort die Nr. 1. Hier wurden dann auch ihre beiden Töchter geboren und wuchsen darin auf.

Der größte Wunsch Deiner Mutter war es, Euch, ihrer Familie, ein Zuhause zu schaffen, das ihr dann in der Laubenkolonie auch gefunden habt.

Sie war es, die die Familie in den wirren Zeiten des Zweiten Weltkrieges bis zur Kapitulation 1945 und auch danach zusammengehalten hat.

Du warst die Lieblingstochter Deiner Mutter, und dennoch, als Du 1963 glaubtest, Dich von ihrem mütterlichen Einfluss befreien zu müssen, warst Du ihr gegenüber so hart. Ich, als unbedarfte außenstehende Leserin, verstand Dich nicht. Ich nahm Dir ziemlich übel, dass Du so brutale Mütterschelte betrieben hast. Ich war der Meinung, dass Du kein Recht hattest, ihr weh zu tun, die so viel für Dich getan hat. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass Du immer wieder betont hast, dass Du keine andere als diese Möglichkeit gesehen hast, Dich von Deiner geliebten Mutter zu lösen, um erwachsen zu werden.

Schön fand ich es dann doch, dass Du, nachdem diese Geschichte fertig geschrieben war, mit Käthe, Deiner Mutter, Frieden schließen konntest. Dafür ist es ein wichtiges und auch äußerlich ein wunderschönes Buch geworden, für das ich Dir sehr danke und dem ich eine große Verbreitung wünsche.

Ich wünsche Dir einen schönen Frühling und hab eine gute Zeit. Sei herzlich gegrüßt von Anke”

(Anke Schäfer)