Projekt Beschreibung

Patriarchale Pädagogik gegen “mütterliche” Werte in der Erziehung

Virginia, März 2006

Ein heißes Thema. Brennend heiß deshalb, weil es mehrfach mit einem Tabu behaftet ist: mit dem Tabu, die fortwährende Gewalttätigkeit in patriarchalen Gesellschaften nicht lediglich zu beklagen und zu entschuldigen, sondern Ross und Reiter zu nennen; mit dem Tabu, die kapitalistische Ressourcennutzung von Frauen (Müttern) und Männern als einen Bestandteil einer modernen patriarchalen Gesellschaft wie den Kapitalismus zu definieren und auch die Diktatur des Nationalsozialismus als einen integralen Bestandteil dieser Menschenbilder aufzudecken.

Die Autorin Christa Mulack, feministische Theologin und Philologin, bekannt durch zahlreiche aufrüttelnde Bücher mit prägnantem Stil und klaren Aussagen, scheut diese Auseinandersetzung nicht und nimmt mutig Klara Hitler, die Mutter von Adolf Hitler, als Synonym dafür, wie Muttersein im Patriarchat in der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahrhundert dessen Ziele im ohnmächtigen Überlebenskampf bediente – Ziele und Methoden, die bis heute nachwirken.

Es geht dabei in dem Buch an keiner Stelle um Beschönigung oder um Vertuschung, sondern um das radikale Erkennen von Folgen einer patriarchalen Pädagogik, hier der “schwarzen Pädagogik”, die buchstäblich den Jungen im Elternhaus, in der Schule, beim Militär und in der Ausbildung durch Männer eingebläut wurde, um sie den Hass auf die zu lehren, die anders waren als sie selbst: Frauen, Fremde, Andersdenkende. Gleichzeitig erlebten sie eine Idealisierung des Männlichkeitsbilds und einer Mutterideologie, nicht zuletzt durch ihre Mütter. Christa Mulack schreibt dazu: “Zur Idealisierung des Mannes wurde jede Generation von Müttern in der Vergangenheit und zum Teil auch heute noch ‚abgerichtet’. Bis heute lernen sie, darauf aus zu sein, ihren Ehemann vor all den negativen Gefühlen ihrer Kinder zu schützen, die er selbst in ihnen geweckt hat … (Bis) heute noch haben Mütter ihren Söhnen und Töchtern von klein auf die Ideologie der ‘Höherwertigkeit’ des Mannes bewusst und unbewusst weitergegeben und sich selbst danach verhalten. Sich und ihr Geschlecht haben sie damit automatisch abgewertet und als ‚minderwertig’ dargestellt … Diese Ideologie zu hinterfragen, gelang nur wenigen … Dazu hätten sie (die Mütter) das wohl stärkste Tabu brechen müssen, das das Patriarchat kennt: die Tabuisierung männlicher Schuld. Sie schützt den Vater davor, sich all den negativen Gefühlen auszusetzen zu müssen, die sein Gewaltverhalten zur Folge hat.” Eine Anklage gegen Mütter? Nein, an keiner Stelle. Vielmehr eine glasklare Analyse. Benötigen wir diese noch?

In einer Zeit, in der immer mehr Frauen und auch einige Männer offen die verheerenden Folgen von überwiegend männlicher Gewalt in den Familien, von hauptsächlich männlich-sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder (ca. 80% Mädchen, 20% Jungen) sowie gewaltverherrlichende und frauenverachtende Computerspiele für Jungen ab 12 Jahren als Zielgruppe aufdecken und anprangern, sollten wir uns fragen, warum das Echo so gering ist. Eine Antwort darauf kann Christa Mulacks Buch geben, und deshalb halte ich es für wichtig: Solange wir nur die Folgen der Gewalt beklagen, womöglich als biologisches Erbe betrachten, und uns nicht bewusst machen, dass jedwede Form von Gewalt an Menschen und an der Natur eine systemimmanente Grundlage des Patriarchats und seiner bisher letzten Ausformung Kapitalismus ist, solange werden wir nichts ändern. Es kann auch nicht darum gehen, dass Frauen selbst dem männlichen Lebensmodell mit seinen brutalen Effekten nacheifern. Dazu schreibt Christa Mulack: “Es erscheint mir dringend notwendig, dass die Gesellschaft als ganze die Pflege und Ausweitung eines gemeinhin als ‚mütterlich’ bezeichnetes Verhalten fördert, uns allen – nicht zuletzt auch der Umwelt – zuliebe.”

(Gudrun Nositschka)