Projekt Beschreibung
“Wenn die gelacht hat, dann hat’s Haus gewackelt”
Virginia, März 2010
“Wenn die gelacht hat, dann hat’s Haus gewackelt: Frohnatur, grantig nie, locker, locker, nette Person einfach.” So erzählt ihre frühere Vermieterin. Das Haus lag in einer Neubausiedlung der sechziger Jahre im Süden München. Zugegebenermaßen eine spießige Umgebung, in die Erika Wisselinck sich von ihrer äußeren Erscheinung her recht gut einfügte, in die ihre radikale Gedankenwelt aber gar nicht zu passen schien. Sie ist immer berufstätig gewesen, hatte auch nie im Sinn, sich durch eine Ehe finanziell abzusichern. Sie trat selbstbewusst auf, eine stattliche Erscheinung, größer als die meisten Frauen ihres Alters. Ihre beruflichen und erotischen Kontakte wählte sie selbstbestimmt: Sie war der Prototyp einer emanzipierten Frau.
Wenn HistorikerInnen sich mit der Neuen Frauenbewegung aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auseinandersetzen, stellt sich ihnen die Frage: Gab es wirklich die eine Frauenbewegung oder waren es nicht viel mehr viele Frauen an vielen Orten, die etwas in Bewegung gebracht haben?
Eine dieser Frauen war Erika Wisselinck. Und sie war nicht nur Teil der Neuen Frauenbewegung, sie war auch eine ihrer Vordenkerinnen und Mütter. Am spannendsten ist der Aspekt, dass die 1926 geborene Publizistin genau in jener Zeit, in der es noch keine Frauenbewegung gab, eine von den Akademien und Verlagen umworbene Autorin war, die wohlwollend von den Männern gefördert wurde. Gegenwind, und davon nicht zu wenig, bekam sie erst, als die Frauen sich formierten und wirklich anfingen, die Gesellschaft zu verändern.
Das alles und viel mehr erfahren wir in der sehr gründlich recherchierten und unprätentiös geschriebenen Biografie von Gabriele Meixner: wie Erika Wisselinck als Vatertochter heranwuchs und unter der geistigen Ödnis des Nationalsozialismus litt, wie sie später als Journalistin die nationalsozialistischen Verbrechen beim Namen nannte, wie sie Artikel mit provozierenden Themen unter Pseudonym schrieb, weil “ein Beitrag von Brisanz nur ernst genommen wird, wenn er von einem – vorgeblich – männlichen Autor stammt”, wie sie schon 1963 unter dem Motto “Die alte Jungfer ist ausgestorben ” auf eine Lebensform hinwies, die erst Jahrzehnte später allgemein anerkannt werden sollte, wie sie im “Notizbuch” des Bayerischen Rundfunks Hörfunkgeschichte schrieb und 1972 im Landkreis München für die SPD als Landrätin kandidierte, wie sie ein – für sie frustrierendes – Gastspiel bei der “EMMA” gab, wie nach äußerst erfolgreichen Frauentagungen ihr Vertrag an der Evangelischen Akademie in Tutzing nicht verlängert wurde, wie sie die Feministische Theologie entdeckte, Mary Daly übersetzte und vor mehr als 20 Jahren zu den Gründerinnen der Bildungseinrichtung “Frauenstudien München” gehörte, wie sie schließlich in der autonomen Frauenbewegung ihre Heimat fand und sich in ihrer letzten Lebensphase, obwohl früher durchaus für Männerbeziehungen aufgeschlossen, eine “nicht praktizierende Lesbe” nannte.
Diese Biografie wird die Leserin so schnell nicht aus der Hand legen. Die Autorin Gabriele Meixner, selbst eine – 20 Jahre jüngere – Protagonistin der Neuen Frauenbewegung, führt uns mitreißend durch das überaus vielseitige Leben von Erika Wisselinck und erklärt mit Leichtigkeit die zeithistorischen Hintergründe. Die Aufbruchstimmung der damaligen Zeit wird lebendig. Was gab es für Perspektiven! Und was gab es für Rückschläge! Wie geschickt hat Erika Wisselinck trotzdem Lücken genutzt und Strategien entwickelt, immer nach dem Motto ihres einflussreichsten Buches “Frauen denken anders”. Wahrlich ein “feministisches Urgestein”.
(Juliane Brumberg)