Projekt Beschreibung

„BROT UND ROSEN“ – PHILOSOPHIEREN üBER REICHTUM UND FüLLE

wolfsmutter.com vom 23.6.06

von Irene Fleiss

Dorothee Markert: Fülle und Freiheit in der “Welt der Gabe”

Philosophieren über Geben, Nehmen, Schenken und Beschenkt werden – wieder hat Dorothee Markert einen kleinen und inhaltvollen Text geschrieben, in dem die tiefere Bedeutung “auf leisen Pfoten”, aber nachhaltig daherkommt.

Frauen seien reich an Fähigkeiten zur Bereicherung des Lebens. Reichtum sei das, was zur Bereicherung des Lebens beitrage. Reichtum bedeute Fülle und Lebensqualität, und mit diesen Reichtümern solle verschwenderisch umgegangen werden. “Fülle ist viel mehr als das Lebensnotwendige.” Diesem Gedanken hat Dorothee Markert schon in ihrem Buch “Nicht Mangel, sondern Fülle” in derselben Reihe nachgespürt. Dieses Bändchen schließt inhaltlich sinnvoll an.

Dorothee Markert schreibt darin unter anderem darüber:

  • Die Dankbarkeit einer Frau einer anderen Frau gegenüber, weil diese ihr etwas gegeben hat, ist eine wichtige Voraussetzung für die Freiheit des weiblichen Geschlechts (Mailänder Buchladenfrauen).
  • Ohne die Dankbarkeit der Mutter gegenüber, weil sie uns das Leben geschenkt hat, blieben wir abhängig von der Meinung anderer, unsicher, unselbständig, nachahmend, pseudo-frei (Luisa Muraro).
  • 1912 forderten amerikanische Textilarbeiterinnen: “Wir wollen Brot. Wir wollen aber auch Rosen.” Im Gegensatz dazu gibt es eine feministische Fraktion, die materielle Armut wählt und fordert – als ob Frauen in dieser Welt nicht sowieso arm genug (dran) wären!
  • “Freiheit in Bezogenheit” – Gaben erhielten, pflegten und intensivierten Beziehungen auf eine Weise, die uns möglichst viel Freiheit erhalte. Funktioniere dieses System nicht, gerieten wir entweder in “Schuldknechtschaft” oder in “Freiheit jenseits von Beziehungen”.
  • Das Geschenk des Lebens, des Namens, der Sprache
  • Versöhnung sei nur durch ein Geben und ein Annehmen möglich. Das Geschenk des Verzeihens sei immer in besonderes Risiko.
  • Geschenke fürs “Bravsein”, die Erpressung von Kindern in unserer Kultur mit den imaginären Schenkern Nikolaus, Christkind, Osterhase.
  • Danach führt uns die Autorin kurz, aber sinnreich durch die Welt:
  • der Dankbarkeit
  • der Gerechtigkeit
  • der Freiheit zu schenken
  • der verloren gegangenen (oder gerade verloren gehenden) Dankbarkeits- und Gabenkultur
  • des Gebens als menschlichem Grundbedürfnis
  • des “Systems der Gabe” und seiner Regeln
  • von Gabe-Konflikten
  • von versprochenen, erwarteten, nicht angenommenen Geschenken
  • von nicht wahrgenommenen und nicht wertgeschätzten Geschenken
  • von Ungleichgewicht, Grenzüberschreitung, Wachstumsfeindlichkeit, Nicht-Berechenbarkeit und Bedingungslosigkeit der Gabe
  • von gefährlichen Gaben, wie Bestechung, Einladungen mit Erwartungshaltung, Erpressungssituationen, Gaben, die auf Unrecht passieren

Wenn im Französischen “hote” sowohl Gastgeber wie auch Gast bezeichnet, so verweist das auf ein älteres, anderes System des Gebens, als es uns geläufig ist. Die Kultur des Schenkens lehre, wie Freiheit innerhalb von sozialen Bindungen möglich sei. Die Autorin zeigt jedoch auch die Kehrseite der Großzügigkeit auf, die mit dem Sprichwort “Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul” beschrieben werden kann. Bei Tausch (beziehungsweise Kauf, einem Tausch von Ding oder Leistung gegen Geld) können wir reklamieren; dass Freundschaft und Geschäft sich nicht vertragen, ist uns für gewöhnlich bewusst.

Frauen stehen, meint Dorothee Markert, “im Mittelpunkt der Welt der Gabe”. Im Patriarchat bedeutet das allerdings, dass sie den Großteil der Versorgungsarbeit erfüllen wie auch jener Arbeiten, die das Leben verschönen, während die Männer sich um Tausch und Gewinn kümmern. Wenn Gabe und Tausch vermischt werden, komme es zu einem Verlust von Freiheit und Fülle. Dankbarkeit und Offenheit für Fülle und Geschenke seien zwar eine Verpflichtung der Beschenkten, könnten aber nicht eingefordert werden. Gut gefällt mir in diesem Zusammenhang die Beschreibung der 6000 Jahre alten Kupferbergwerke in Israel mit ihren zahlreichen, der Göttin geweihten Kultstätten. In ihnen brachten die Menschen der Göttin Versöhnungsgeschenke dar, dafür, dass sie ihren Leib, die Erde, durch die Grabungen verletzten; zugleich dankten sie ihr für die Gabe des Erzes.

Eine (neue) Kultur des Schenkens und Beschenkt-Werdens, getragen von Frauen – nur ein Traum? Schon möglich. Aber solche Träume können politisch und gesellschaftlich relevant sein – und aktive Träumerinnen haben uns das errungen, was wir heute haben. Ich denke, es ist ein Dankeschön an unsere Vorschwestern, wenn wir – vielleicht für unsere Nachschwestern – selbst solche Träume aktiv träumen. Das ist kein Text, den frau einmal durchliest und dann ins Regal stellt, sondern der in Etappen gelesen und überdacht, immer wieder gelesen und diskutiert werden will. Selberlesen und verschenken, in die Handtasche stecken und öfters reinschauen, diskutieren und in der Praxis versuchen wird empfohlen! Zumindest aber begegnen wir neuen Gedanken und vertrauten Gedanken unter neuen Blickwinkeln, und das ist eine gute Sache.