Projekt Beschreibung

Was erzählt das Labyrinth?

www.bzw-weiterdenken.de vom 21.11.2011

“Frauenkultur im öffentlichen Raum”, so heißt der Untertitel des Buches. Sieben Autorinnen berichten und reflektieren über ihre Erfahrungen mit dem Labyrinthplatz in Zürich. Sie denken und schreiben selbst spiralig – über die Entstehungsgeschichte, die soziale Einbindung des Labyrinths in das Wohngebiet, die oft anstrengende, aber auch befriedigende Alltagsarbeit, über die Labyrinth-Rituale und -bräuche, die Begegnungen mit BesucherInnen und über vieles mehr. Es ist ein wunderschönes Buch entstanden, das die ganze Vielfalt und Fülle langjähriger Labyrintharbeit widerspiegelt. Die Bilder aus der Zürcher Labyrinthgeschichte sind klug und einfühlsam ausgewählt und sind eine sinnliche Freude für die LeserInnen. Agnes Barmettler, eine der Gründungsmütter, hat das Labyrinth-Logo gestaltet. Mit der Frau, die in seinem Zentrum steht, ist es inzwischen längst über Zürich hinaus zum Erkennungszeichen der Frauenplätze geworden.

Das Labyrinth ist neben der Spirale und den konzentrischen Kreisen ein Symbolmuster, das universell seit Tausenden von Jahren die Menschheit begleitet, immer wieder mit neuen Bedeutungen belegt und in neuen Räumen und an neuen Orten heimisch wird. Dabei können die Wege in und aus dem Labyrinth ganz unterschiedliche Bedeutung haben, von geheimen Grabkammern, über Initiationsriten der Menschen, Tanzplätzen, Schutz eines Heiligtums oder einer Stadt in der Mitte, bis hin zu einem Ort der Gerechtigkeit, in dem das Menschenfeindliche – wie bei Theseus und dem Minotaurus im kretisch/griechischen Mythos – unter Anleitung einer Frau, Ariadne, besiegt und das Labyrinth zu einem Ort der Liebe wird. Sie muss manchmal auf komplizierten Wegen gefunden werden. Nicht zufällig erinnert das Labyrinthmuster viele Frauen an eine Gebärmutter, in der neues Leben entsteht. Die Heil- und Verwandlungskraft des Labyrinths wird in jedem Beitrag des Buches deutlich.

Was ist das Neue, das Einzigartige, wenn sich eine engagierte Gruppe von Frauen mit dem Labyrinth beschäftigt? Oder anders gefragt, was ist Frauenkultur?

Die konkreten Labyrintherfahrungen geben Antworten. Eine zentrales Moment ist das breite Spektrum der Ansätze und ihre Offenheit. Rosmarie Schmid schreibt über das “Labyrinth – ein lebendiger Erkenntnisweg” und sieht den Ort als “verdichtetes Leben in der Öffentlichkeit” und als “wichtiges Vermächtnis aus prähistorischer Zeit”. Sich selbst sieht sie als Zeugin, deren Erfahrungen weiter gegeben werden müssen. Der Generationswechsel unter den aktiven Frauen und die Kinder, die das Labyrinth mit unbefangener Freude in Besitz nehmen, sind ein Teil dieser Kultur der Einheitlichkeit und Differenz in den verschiedenen Lebensabschnitten. Als “politisches Versprechen” und Platz der öffentlichen Kultur versteht Zita Küng den Labyrinthplatz. 2004 haben sich die Frauen damit auseinandergesetzt, was aus ihrer Sicht politisch ist. Dabei formulierten und gestalteten die Frauen die Wichtigkeit des Buchstabens A, der für Anfang und Ausgangspunkt steht, ein Anfang der jeweils in einer historischen Situation und an einem konkreten Ort stattfindet. Aber auch den Weg zurück, das Ende, symbolisiert das Labyrinth. “Gwundrig hinein- und herausfinden” nennt Ursula Knecht ihren Eingangs- und Ausgangsbeitrag des Buches. Aus diesen Vor-Gaben des Labyrinths ergeben sich ungeahnte politische Gestaltungsmöglichkeiten: “Der Labyrinthplatz ist geradezu ein idealer Ort, sich dem Politischen zuzuwenden” (Zita Küng). Die Labyrinthdiskussion begann 1989, als ein Kasernengelände neu bebaut werden sollte. Es liegt inmitten eines sog. sozialen Brennpunktes, sollte aber für die gesamte Stadt zum Zentrum werden. Frieden und Respekt untereinander werden als “politische Freundschaft” gedeutet. Labyrinthische Politik ist es, die “Fragen, die wir uns und der Welt stellen, in die Runde zu bringen”, die eigenen Begrenzungen (“Bitte auf dem Weg bleiben!”) zu sehen, “in den Spiegel zu schauen” (Ursula Knecht) und das Labyrinth als “Akademie unter freiem Himmel” (Caroline Krüger) zu betrachten. Damit ist auch die Möglichkeit verbunden, öffentliche Hausfrauen zu sein und zu zeigen und auszuprobieren, was dies im Einzelnen bedeutet – ein wichtiger Beitrag zur Anerkennung der “öffentlichen Hausfrau” als politischer Aufgabe. Dadurch wird der Alltag bewusster erlebt und gestaltet und es entsteht eine neue Beziehungskultur. Zu dem Labyrinthalltag gehört viel körperliche Arbeit und eine Fülle von Begegnungen, wie sie nicht nur die Gärtnerin Regula Farner, die gleichzeitig eine begabte Musikerin ist, immer wieder erlebt hat. Die viele Arbeit, die sie und andere in das Labyrinth und seine Pflege gesteckt haben, der Umgang mit der Natur, den Pflanzen, das Leben mit den Jahreszeiten und ihre “Erziehungsarbeit”, wenn das Labyrinth beschädigt wird, sind beispielhaft. Zu dem Labyrinthalltag gehören auch die vielen selbst entwickelten und übernommenen Bräuche, z.B. der Gemeinschaftstanz. Schwingungen und Resonanz sind für die Tanzenden und ZuschauerInnen eng miteinander verbunden. Im Tanz wird ebenso wie im langsamen Durchschreiten das Bewegungsmuster sinnlich erfahren. Dazu gehören auch die Umschwünge, die plötzlichen Begegnungen, wenn eine Frau, die vor oder nach mir geht oder tanzt, mich plötzlich ansieht, mir entgegenkommt. Der Kehrtwende ist der zweite Teil des Buches gewidmet. Ein weiterer Brauch / ein Ritual sind neben den Jahreszeitenfesten die Feiern für die Neugeborenen, die einmal im Jahr stattfinden.

Was wäre das Labyrinth ohne die vielen Erzählgeschichten – aus der Geschichte des Labyrinths, aus allen Teilen der Welt und aus den Geschichten der letzten zwanzig Jahre in Zürich. Labyrinthgeschichten spiegeln die Weltsicht der jeweiligen Völker und Menschen und ihr Verhältnis zu der eigenen Geschichte und den Mythen wider, wie Agnes Barmettler und Rosmarie Schmid am Beispiel der Hopi-Indianer zeigen. Längst ist das Zürcher Labyrinth über die Stadt- und Landesgrenze hinaus bekannt. Mit ihrem Buch haben die Labyrinthfrauen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer Einheit zusammengefügt und damit sich und vielen anderen einen weiteren Denk- und Gedächtnisort geschaffen.