Projekt Beschreibung

Anna im Goldenen Tor

www.wolfsmutter.com, 21.6.2010

VON ERIKA WISSELINCK

Gegenlegende über die Mutter der Maria

Erika Wisselinck räumt in diesem Buch auf mit herrschaftlichen Entstellungen der Geschichte. Sie beschreibt das Leben von Anna, Maria und Jesus auf der Grundlage jüdischer Quelltexte und mit umfassender Kenntnis mutterrechtlicher Kultur.

Erika Wisselinck, leidenschaftlich frauenbewegte Journalistin, Schriftstellerin, Übersetzerin der radikalfeministischen Bücher von Mary Daly und Rundfunkredakteurin, verstarb 2001 im Alter von 74 Jahren. Frauenbewegung war für sie immer zuerst eine Bewegung in Frauen. Ihre folgerichtig kritische und humorvolle Sichtweise vermittelt/e frauengerechte Wege in Philosophie, Spiritualität und Politik und Gesellschaft.

1990 erschien “Anna im Goldenen Tor” im Kreuz-Verlag, von Erika Wisselinck ihrer Mutter Eva, ihrer Großmutter Marie und ihrer “Sophia”, der feministischen Theologin Neile Morton gewidmet. In Süddeutschland gibt es zahlreiche Bilddarstellungen der Anna (Selbdritt) – oft übergroß wie eine Große Mutter, mit Maria und Jesus auf ihrem Schoß, die auf die ihr eigene, ursprüngliche Kraft und Bedeutung verweisen.

Erika Wisselinck räumt auch in diesem Roman gründlich auf mit herrschaftlichen Entstellungen der Geschichte, in diesem Fall mit denen durch die christliche Kirche. Sie beschreibt das Leben von Anna, Maria und Jesus auf der Grundlage jüdischer Quelltexte und mit umfassender Kenntnis mutterrechtlicher Kultur und Geschichte. Dabei entstehen ganz natürlich völlig andere Geschichten von Anna, Maria und Jesus als die in den herrschaftlichen Überlieferungen der Bibel. Die Heilige Anna, die Mutter Marias und Großmutter des Jesus kommt in der Bibel ganz merkwürdiger Weise gar nicht vor. Lediglich im apokryphen Jakobusevangelium wird Annas Mann Joachim erwähnt, in einer Geschichte vom Engel und vom erfüllten Kinderwunsch.

Anna selbst ist geboren im Ausklang mutterrechtlicher Kultur. Ihre Mutter gehörte zur Generation der Frauen, die noch von ihren Müttern ausgebildet und eingeweiht waren in das heilige Wissen der Allmutter, die alles belebt, nährt, wandelt und wieder gebiert. Die All-Eine, die über viele Jahrtausende verehrt wurde, auch im diesem Lebensraum: als Astarte, Ashtoreth, Ascherat.

Mit weit reichendem Wissen über mutterrechtliche Kultur schildert Erika Wisselinck in ihrem Roman die Zeit des Überganges von der Allmutter-Religion zur Alleinherrschaft eines männlichen Gottes (Gott ist übrigens abgeleitet von dem Sanskritwort für Gatte) im jüdischen Volk. Die einfachen jüdischen Frauen, die den Tempel “Gottes” nicht betreten durften, lebten im Alltag ihre Spiritualität durch die Verehrung der Großen Mutter – wenn auch durch herrschaftlichen Druck zunehmend im Geheimen. Durch die Augen und die Weisheit mutterrechtlicher Kultur öffnet sich ein völlig anderes, ein nun sinn-tragendes Bild als die in der Bibel übermittelte christlich-patriarchal verstümmelte Geschichte der Nachkommen Annas, der Maria und des Jesus.

Erika Wisselinck lässt das Reich der Frauen wieder sichtbar werden, das durch herrschaftliche Gewalt patriarchaler Religion und Gesellschaft in dieser Zeit zunehmend gezwungen wird in das Verborgene auszuweichen. Doch noch immer wird das uralte heilige Wissen der Frauen bewahrt und weiter gereicht. Durch die zunehmende Macht der patriarchalen jüdischen Religion büßen die Mütter in den Familien mehr und mehr von ihrem Einfluss ein. Die Weitergabe des uralten heiligen Wissens der Großen Mutter an die Töchter wird zunehmend er-schwert, wie es sehr anschaulich an Annas und Marias Lebensgeschichte dargestellt wird.

Maria ist schon Tochter eines Vaters, der einen Gott (den Gatten) verehrt anstelle der Großen Mutter und die eigene Tochter in diese Weltsicht einführt, was zwangsweise zur Entfremdung von Mutter und Tochter wie auch zum Scheitern eines weiblich-selbstbestimmten Lebens führen muss. Selbst schon nicht mehr in die heiligen Frauenmysterien eingeführt, vermag auch Anna ihre Tochter weder einzuweihen noch zu begleiten oder zu behüten. Dieser Umstand lässt auch die von Erika Wisselinck beschriebene Sicht auf den Grund der frühen und unerwarteten Schwangerschaft ihrer Tochter Maria wahrscheinlich werden. (Dennoch sind selbst unter patriarchalen Verhältnissen jungfräuliche Geburten möglich und mittlerweile auch wissenschaftlich bestätigt.) Annas Enkelsohn Jesus wird von seiner Mutter Maria ebenfalls im Glauben an den jüdischen Gott aufgezogen – verbunden mit der Hoffnung Marias auf Erfüllung des eigenen Lebenssinnes durch den Sohn.

Die Trennung von Geist und Leib, von spiritueller Lehre und Leben kennzeichnen die herrschaftliche Sichtweise, die auf gezielter Missachtung der weiblichen Schöpfungskraft beruht. Frauen werden entwertet zum “Gefäß” für den Geist des Gottes/Gatten. Auch die in der Bibel vermittelte mangelnde Achtung Jesus für seine Mutter und für seine Großmutter weist ihn aus als einen Vatersohn, dessen Liebe Frauen schon nicht mehr gleichberechtigt einschließt. Ebenso ist die Überheblichkeit Jesus, sich selbst als den einzigen Weg zu Gott zu verstehen kennzeichnend für Herrschaft. Annas Weg des Heilens und Lebens hingegen wurzelt trotz der vielfältigen herrschaftlichen Zwänge noch immer in dem Seele, Geist und Leib verbindenden heiligen Wissen der Großen Mütter, das um die eingeborenen Heilkräfte eines jedes Menschen sowie um das unauflösliche Verbundensein aller Wesen im All weiß.

Erika Wisselincks Roman “Anna im Goldenen Tor” ist ein kostbares Zeugnis eigenmächtig ent-deckter Spuren mutterrechtlicher Kultur und Lebenskunst inmitten patriarchal entfremdeter Überlieferung. (Rakuna & Anomatey)