Projekt Beschreibung

Weltordnung – Weisheit – Wort

www.wolfsmutter.com vom 29.11.2007

ODER: MAAT, SOPHIA UND DIE MüTTER

Über Kirsten Armbruster: Starke Mütter verändern die Welt

Der Titel stellt Ansprüche – an uns, an Mütter, an die Autorin selbst. Ich bin gespannt, ob das Buch diese Ansprüche einlöst und was wir uns von starken Müttern erwarten können.

Der Beginn ist witzig und provokant zugleich (und sehr utopisch): Unter der Überschrift “Patriarchat gescheitert” beginnt ein fiktiver Artikel: “Da die rein ökonomisch, machtorientiert und mortal ausgerichtete Gesellschaftsform des Patriarchats sich in den letzten fünf Jahrtausenden immer mehr als unfähig erwiesen hat, Leben auf der Erde zu bewahren, war das Ende des auf Herrschaft basierenden Patriarchats besiegelt. Die EU wurde unter das Recht der Göttin gestellt, die Maat, als rechte Weltordnung, wurde als Maß aller Dinge eingesetzt und die Sophia, die Göttin der Weisheit, wieder inthronisiert. Der männliche Aspekt des Gottes wurde wiederum in liebender, erotisierender, beratender und ergänzender Funktion der Göttin zur Seite gestellt. …”

Die Autorin analysiert das Patriarchat nicht sachlich und wissenschaftlich, sondern emotional und polemisch – und Recht hat sie! Meines Erachtens ist Feminismus viel zu selten polemisch. Frauen, die das Patriarchat radikal in Frage stellen, es also nicht “von innen verändern” wollen, die nicht innerhalb des Systems für Frieden, Gleichberechtigung oder Gerechtigkeit “kämpfen”, die (deshalb) zu Außenseiterinnen wurden oder für verrückt erklärt werden, finden in ihr eine Gleichgesinnte.

Es folgen ein Ausflug in die matriarchale Vergangenheit und eine sehr schöne Variante der Schöpfungsgeschichte. Danach geht es um unsere sexistische, rassistische, ausbeuterische, hierarchische, militärische Zivilisation, um das Verhältnis der monotheistischen Religionen zur Göttin und um die Stellung der Frau in den östlichen Religionen, die auch nicht besser ist als in monotheistischen, oft genug sogar im Gegenteil. Zu meiner Freude zeigt Kirsten Armbruster auch die starke Frauenverachtung und den Androzentrismus des Buddhismus auf, zum Beispiel die Ausnutzung und Übernahme weiblicher Energie durch sexualmagische Praktiken. Auch im Buddhismus wird das schöpferische Leben abgelehnt, werden Zerfall und Fäulnis betont. Wie auch in manchen Richtungen des Christentums weiht hier die Frau die Menschen, die sie zur Welt bringt, dem Untergang und wird dafür verachtet und bestraft.

Kirsten Armbruster erzählt von heiligen Silben, von Fruchtbarkeit, von Profitmaximierung und Ausbeutung und davon, wie Mutterschaft zur Geißel für arbeitende Frauen in der “Dritten Welt” werden kann. Anstatt die Lebensbedingungen für Mütter und Kinder zu verbessern, arbeiten patriarchale Wissenschaftler (-innen?) an einem künstlichen Uterus, um Frauen unnötig zu machen. Mathematik heißt Mutterweisheit, und die Autorin schlägt einen wirtschaftlichen Paradigmenwechsel vor. Sie macht vernünftige und praktische (wenn auch in unserem globalisierten System utopische) Vorschläge zu einer matriarchalen Wirtschaft und zu einer Änderung der UNO hin zu einem direkt und demokratisch gewählten Weltparlament. Eine Geldreform gehöre her, meint sie, und sie setzt auf Muttermacht für den Widerstand gegen den weltweiten Neoliberalismus. Denn Muttermacht bezieht sich auf Gebärmacht – Erziehungsmacht – Arbeitsmacht – Konsummacht.

“Der Mensch hat das Netz des Lebens nicht gewebt, er ist nur ein Strang dieses Netzes. Was immer er dem Netz antut, tut er sich selbst an.” (Häuptling Seattle aus Amerika)

Ein Fragenkatalog zum Thema “Wie wollen wir leben?” regt zum gründlichen Nachdenken an. Beispielsweise darüber, ob wir ein Gesellschaftssystem wollen, das den Tod über das Leben stellt. Die Antwort ist leicht, die Konsequenzen daraus zu ziehen schon weniger. Eine Vision der Autorin beendet das empfehlenswerte Buch, nämlich die “Vision einer matrivivalen Gesellschaft”. In der gibt es nicht Wettbewerb, sondern Kooperation, es gibt Solidarität statt Neid, Gemeinsamkeit statt Individualismus, Harmonie statt Konfrontation, Vielfalt und Diversifikation statt Monoisierung, Kreativität statt Terror der Ökonomie und Technik. Harmonie, kosmische Gerechtigkeit und Wahrheit bilden die Eckpunkte der Maat, der Weltordnung.

Weltordnung – Weisheit – das Wort sind die drei Grundpfeiler matrivivalen Lebens. Allerdings ist mir die Autorin zu optimistisch, was Mütter angeht. Patriarchale Frauen sind auch patriarchale Mütter, sie haben ihre Macht sich abnehmen lassen beziehungsweise abgegeben. Ohnmächtige Mütter können gar nichts verändern. Das weiß auch die Autorin, deshalb betont sie die Notwendigkeit eines schnellen, friedlichen gesellschaftlichen Wandels. Den stellt sie sich in 3 Schritten vor:

  1. müssen Mütter sich ihre Machtbereiche bewusst machen
  2. müssen sie erkennen, dass diese Macht positiv ist.
  3. Hier steht die Erkenntnis, dass unser Geschichtsbewusstsein vernebelt worden ist.

Diese drei Schritte, von einer ausreichenden Anzahl Frauen und Mütter vollzogen, werden sicherlich sehr vieles zum positiven verändern – ich habe nur meine Zweifel daran, dass eine ausreichende Anzahl Frauen und Mütter in der Zeit, die uns verbleibt, diese Revolution in sich selbst vollzieht. Radikalität sich selbst und anderen gegenüber ist angesagt, und damit haben nach meiner Erfahrung viele Frauen ihre Probleme. Mütter, Frauen generell, sind nicht per se ohnmächtig und hilflos, das haben wir uns nur vom patriarchalen System einreden lassen. “Wir sind nicht hilflos, denn die Schöpferin hat uns wohlweislich das Geheimnis des Lebens anvertraut, auf das wir es bewahren. Beenden wir endlich unsere Ohnmacht und nutzen unsere Macht!” Die Dringlichkeit ist Kirsten Armbruster bewusst.

“Wenn wir schnelle, tiefgreifende und radikale, unsere Welt heilende Veränderungen wollen, müssen wir die Mütter, aufwecken, damit sie ihres Wächterinnenamtes wieder walten können. Wir müssen sie aus dem Dornröschenschlaf der letzten fünftausend Jahre aufwecken, nur findet dieses Aufwecken nicht durch einen jungen Königssohn statt, sondern durch die dreizehnte Alte Weise Frau.”

Nicht mit allem bin ich 100%ig einverstanden. Manche Überlegungen fehlen mir, manches (“die Tödin, die Mondin”) erscheint mir banal. Wohl aber kann ich den meisten Forderungen der Autorin zustimmen. Denn sie sind radikal und wollen das System nicht verändern, sondern (auf friedliche Weise) stürzen. Ich bin begeistert, dass noch jemand nicht am System Patriarchat herumdoktern, sondern es entschlossen ausmerzen will. Wem das zu radikal ist, die möge unsere Welt mit offenem, unversperrtem Blick betrachten und dann ihr Verständnis von Radikalität überdenken.

Ist dieses Buch polemisch? Göttin sei Dank, ja! Und dann auch noch fundiert und mit einer Vision zugleich. Das Buch hält viel mehr, als ich mir erhofft hatte, es fordert uns und es ist, zugegeben, utopisch. Aber wenn viele eine Utopie für möglich halten, können sie etwas bewegen. Eine Zukunftsvision hat ohne Kenntnis der Vergangenheit keine Basis, doch die Kenntnis der Vergangenheit ist ohne Zukunftsvision akademisch. Ob gerade dies die Vision für alle Frauen und Männer ist, weiß ich nicht, aber sie ist ein notwendiger Anfang. Nicht mit patriarchalen Müttern umzusetzen – aber sie müssen ja nicht patriarchal bleiben. (Irene Fleiss)