Was geschieht uns gerade?

Als ich begann, diesen Text zu schreiben – für mich, im Augenblick des Schreibens – war (ist) die Kriegspartei in Schwierigkeiten. Nach zwanzig Kriegstagen in Afghanistan gibt es

„Enttäuschung über die Ergebnisse“ (wie sie es nennen, nicht „Scham“, wie ich gesagt hätte) und Ungewissheit über die weiteren Aussichten. Was Anthrax anbelangt, so verbergen CIA und FBI nicht mehr, dass mit größter Wahrscheinlichkeit der Angriff aus dem Innern der USA kommt, wie bereits sehr früh von wissenschaftlich informierten Personen mit gesundem Menschenverstand angenommen worden war.

Aber zu sagen, „wir hatten Recht“ und darauf zu beharren, dass wir Recht hatten – auch im weiteren Sinne, dass nämlich Friedens- und Zivilisationsansprüche berechtigt waren –, diesen Weg werde ich nicht einschlagen.

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dieser Weg nirgendwohin führt. Doch dies ist weder ein Denken von Hoffnungslosigkeit noch von Unbeteiligtheit, im Gegenteil.

Ich schlage diesen Weg nicht ein, weil es der Weg einer Minderheit ist, die vernünftig denkt, in gewissem Sinne [sogar] zu vernünftig, weil sie sich zusammensetzt aus denjenigen, die weder Angst noch Unbehagen dabei empfinden, eine Minderheit zu sein. Deshalb weiß sie nichts von denen, die hingegen Angst und Unbehagen haben, eine Minderheit zu sein, und deswegen die Mehrheit bilden: Sie rutschen in die Position, die von den Mechanismen der Macht entworfen worden ist, aber sie sind nicht nur Opfer oder Komplizen einer Täuschung. Die Zugehörigkeit zur Mehrheit und zu denen, die Entscheidungsmacht besitzen wie das Behagen, leicht Recht zu haben, ist vielleicht für viele eine Art, sich nicht ohnmächtig zu fühlen, Worte für das zu finden, was geschieht und dem einen Sinn zu geben. Vielleicht liegt an der Basis dessen, was als Konformismus erscheint, das Bedürfnis zu denken, dass die Dinge Sinn haben. In diesem Fall wäre der Konsens mit den USA anlässlich des historischen Ereignisses, das der 11. September darstellt – ich spreche von uns Westlichen –, keine Unterstützung einer Kriegspolitik, sondern eine Art Antwort auf die Frage, was gerade geschieht. Dafür spricht jedenfalls, dass, während die Militärs bombardieren, die Zivilisten Bücher kaufen und Filme anschauen, die vom Islam und von Afghanistan handeln.

Kurzgefasst, es gibt eine Bedeutung von „Mehrheit“, die keine Frage der Anzahl ist, sondern die eines elementaren symbolischen Bedürfnisses wie dasjenige, das sich in der Volkstrauer beim Tod von Lady Diana Spencer gezeigt hat. Schon zu diesem Anlass habe ich gedacht und jetzt denke ich es erneut, dass nur die Politik der Frauen diese Bedeutung von In-der-Mehrheit-Sein zu lesen versteht, weil es eine Politik ist, die sich nicht des Wahlkampfs bedient und nicht den Konsens für ihre Ziele benutzt.

In diesem „Mehrheit-Sein“ gibt es ein Leiden und gibt es Widersprüche, die die Politik der Frauen erkennen und teilen kann. Nurit Peled, die ihre kleine Tochter bei einem Selbstmord-Attentat verloren hat, sagte: „Meine Tochter ist nur deswegen getötet worden, weil sie in Israel geboren wurde, und von einem Jungen, der so verzweifelt war, dass er nur deswegen tötete und sich selbst umbrachte, weil er als Palästinenser geboren wurde.“ Man hat N. P. Pazifistin genannt, eine Identität, die sie nicht zurückweist, aber das, was diese Frau lehrt, ist viel mehr. Sie lehrt uns, anderes mit dem Anderen zu denken. Es gibt Ereignisse, die traumatisch sind und die Landschaften der Identitäten erschüttern. Was tut man in diesen Fällen, was antwortet man? Ich denke, dass die Antwort folgende ist: Sich der Enormität des Ereignisses ergeben, dem anderen – was auch immer es sei – zu erlauben, sich zu ereignen. Was ungefähr folgendes heißt: Die Muster zu zerbrechen und sich im Bewusstwerdungsprozess mit der noch wortlosen emotionalen Auswirkung vereinigen. Das verlange ich von der Politik der Frauen nach dem 11. September, dass sie mir dabei hilft, mich zu ergeben und da zu sein, beides zusammen.

Viele haben sich gefragt: Was ist geschehen? Eine höchst wichtige Frage, aber sie ist verstümmelt, es fehlt die Präsenz eines Subjektes: Es passiert nichts, wenn es nicht jemandem, für jemanden geschieht. Bush ist etwas passiert, daran gibt es keinen Zweifel: Er hat die Mehrheit erlangt, die er nicht hatte, als er gewählt wurde; er ist dahin gelangt, die Notwendigkeit der politischen Vermittlung (Shanghai) zu verstehen, vielleicht hat er sich von seinem Vater emanzipiert. Und was ist mir passiert?

Neben einem Subjekt ist auch Zeit und Arbeit an politischer Erfindung nötig. Eine Sache an sich kann, um sich zu ereignen, fünf Minuten oder wenige Stunden benötigen, aber sie ist nicht wirklich geschehen: Es ist notwendig zuzulassen, dass sie weiterhin geschieht und ihr Werk der Veränderung des Realen begleitet wird. Tagelang nach dem Attentat hat mein Vorstellungsvermögen mich immer wieder an die Stelle gebracht, an der die einzige Sache erfolgte, über die man nun sprach. Und zwar gelangte ich dorthin, wo sich der Sinn des Lebens und des Todes neu gestaltete. Dieser weit verbreiteten Empfindung hielt jemand bitter entgegen: Die 35000 Kinder, die nach den Angaben der FAO [Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN] am 11. September wie an jedem anderen Tag des Jahres an Hunger gestorben sind, was zählen sie für den Sinn des Lebens und des Todes? … Aber gerade dies ist der Punkt: Jetzt kann beginnen (mir, dir …) auch das zu geschehen, was in der Masse der Dinge, die real keinem von uns passieren, verblieben war. Jetzt kann es beginnen, weil sich eine Bresche geöffnet hat. Wie für viele andere Männer und Frauen, innerhalb und außerhalb der USA, bedeutete der 11. September für mich die Entdeckung einer Verletzbarkeit und einer Zerbrechlichkeit. Auch meiner eigenen, denn wenn es ein wirkliches Ereignis ist, gibt es keine absolute Trennung zwischen Innen und Außen.

Ich muss sagen: Es mag seltsam erscheinen, dass eine derartige Entdeckung nicht unbedingt Angst auslösen muss, sondern im Gegenteil Erleichterung verschaffen kann. Ich erkläre mir das folgendermaßen: Die Entdeckung, dass die Dinge zerbrechlicher sind als sie erschienen, fordert einen auf – oder zwingt dazu –, eine vermeintliche Autonomie aufzugeben, um mit den anderen übereinzukommen – wo zu „den anderen“ auch etwas von mir selbst, das ich verkannt oder abgelehnt habe, kommen kann. So wird man dazu gebracht, eine Tür zu öffnen für etwas, das einzutreten wünschte, und das zu verändern, was in der ständigen Wiederholung unveränderlich erschien. Es geschieht sogar, dass Energien freigesetzt werden, die zuvor vielleicht damit in Anspruch genommen waren, irgendein inneres Monument aufrecht zu erhalten, wer weiß das schon.

Durch diese Tür ist eine Art von Sympathie zu mir gelangt, die ich für das amerikanische Volk nicht hatte. Ich denke nicht an die herrschende Klasse, dass sei klargestellt, aber auch nicht an die Minderheit, mit der ich mich seit der Vietnamzeit in einem tiefen gedanklichen Einklang befand. Ich denke an die anonyme Vielzahl, die Flaggen aufhängt, die Bush bedingungslose Unterstützung gegeben hat, die Italiener mit Arabern, Araber mit Islamisten, Islamisten mit dem Teufel verwechselt, ohne zu wissen, dass sie den Teufel in sich selbst trägt. Aber dies ist kein guter Anlass, sie auch meinen [Teufel] tragen zu lassen. Ich denke an jene Amerikaner, weil es an ihnen liegt, die größte und entscheidendste Veränderung zu machen. Es ist nämlich offensichtlich, dass es so nicht weiter geht: Dass wir Rechte genießen, die im Wesentlichen Privilegien sind, mit einem System von Leben, das von einer Politik der Bombardierungen und geschlossenen Grenzen verteidigt wird, mit einer Ökonomie der Hyperentwicklung, die, weil ohne Alternativen – so sagen sie –, unbegrenzt und zwangsläufig ist, und mit einer Kultur, die uns zwingt, egoistisch zu sein ohne uns vor Schuldgefühlen zu bewahren (und zum Glück haben wir welche), und zu all diesem kommt jetzt die Notwendigkeit hinzu, uns gegen Attentate zu verteidigen. Oder wir können doch so weitermachen, aber dann ist unsere Zivilisation todbringend und selbstmörderisch.

Mit diesem Gedanken im Kopf – heute vielleicht der heimlich vorherrschende Gedanke –, habe ich begonnen, mit Aufmerksamkeit und Sympathie in die USA zu schauen, weil es angesichts ihrer Position in der Welt an ihnen liegt, uns in der radikalen Veränderung des Zusammenlebens, der Ökonomie, der Kultur anzuführen.

Diese Gedanken sind nicht entstanden nach den Zwillingstürmen, sie kommen von weiter her und wurden von Stimmungen, Tatsachen, Intuitionen, Erfahrungen genährt, die nicht auffällig, aber verbreitet waren und zwischen Frühling und Sommer auftauchten, im nahen Bevorstehen des G 8-Gipfeltreffens bis zur großen Demonstration in Genua. Aber seit jener Demonstration ist dieses Denken dann aus eher komplexen Gründen ein Denken gegen geworden, ein Minderheit-Denken, das heißt ein Denken, das sich einige – viele, aber nicht mehr potenziell alle – angeeignet haben als eine eigene Identität, so, wie sie eher Männer als Frauen konzipieren. Und dies spiegelt sich wieder in der Rückkehr zur organisierten Politik und in der Tendenz, Fronten zu bilden. Die heimliche und wachsende Ausbreitung des Gefühls, dass „wir so nicht weiter machen können“, ist plötzlich gestoppt worden, und nun sind wir in dieser Ungewissheit, die aufgrund des historischen Ereignisses der Verletzbarkeit der mächtigsten Länder der Welt extrem geworden ist.

Eine meiner Bekannten, Carla Turola, hat gesagt, dass für sie die Entdeckung schmerzlich war, erneut in sich gegenüberstehenden Begriffen von „wir“ und „sie“ zu denken: „Es ist immer wieder die alte Geschichte, noch einmal spaltet man uns in der Mitte: Das Gute auf der einen, das Böse auf der anderen Seite. Ich merke, dass es mich anstrengt, alle Gefühle, die guten wie die schlechten, zusammenzuhalten, das eine mit dem anderen zu verbinden, ohne irgendeins verleugnen zu müssen.“ Meine Bewusstwerdung hat im Wesentlichen die gleiche Form angenommen: Es ist vergeblich und lächerlich, dass ich fortfahre, die richtigen Dinge zu denken und zu tun und mir Recht zu geben oder geben zu lassen.

In diesen 30 Jahren, ausgehend von der feministischen Bewusstwerdung, habe ich zusammen mit anderen Frauen Dinge gesagt und gedacht, die uns richtig erschienen, insofern sie die weibliche Freiheit begünstigten. Wir hatten – wie kann ich es nennen? – die Gabe oder das Glück gehabt zu konstatieren, dass die Dinge dabei waren, sich in Richtung unseres Handelns zu verändern. Gut. Aber all dies hat in mir die Geisteshaltung einer gewissen Unabhängigkeit entstehen lassen – etwas, das mit den Attentaten des 11. Septembers einen schrecklichen Schlag erfahren hat. Meine Tendenz wäre nun, auf der Geisteshaltung Recht zu haben, zu beharren und zum Beispiel damit zu beginnen, die ultrapatriotische Reaktion des Großteils der Amerikaner zu kritisieren oder gegen jene zu polemisieren, die sich als Verteidiger der afghanischen Frauen aufspielen usw. Unnötig zu sagen, dass ich weiterhin das denke und empfinde, was ihr euch vorstellen könnt – über die Fahnen, die Bombardierungen und die Vorherrschaft, mit der der Westen seine Interessen in der gesamten Welt durchsetzt. Aber das ist keine Antwort auf das, was geschieht, sondern eine Verteidigung, eine Wiederholung, das heißt die Vermeidung einer Antwort.

Uns geschieht etwas, deshalb kann ich nicht Recht haben, und es ist sogar lächerlich zu versuchen, Recht zu haben, insofern das Wesentliche noch zu denken ist, und es bisher noch keinen gibt, der sagen kann, dass er Recht hat, es sei denn jene, die tot sind oder die, die alles daransetzen, menschliches Leben zu retten.

Also habe ich mir gesagt: Dank der Politik der Frauen bist du eine reiche Frau geworden in dem Sinn, dass du ein wertvolles Wissen und wertvolle Erfahrungen besitzt, und du kannst nun folgendes tun: Bringe all das, was du durch die Praxis der Beziehungen unter Frauen gewonnen hast, ins Spiel ein, verringere nicht im Geringsten das, was du weißt und was du bist, aber suche nicht Anerkennung. Beginne auch du, anderes zu denken mit anderen, indem du deine Beziehung zum anderen Geschlecht veränderst und eine Austauschbeziehung auch mit Männern praktizierst. Und schenke durch diesen Austausch mit Männern und Frauen, der nicht den Konflikt ausschließt, einem neuen Denken, neuen Wünschen, neuen Ideen, neuen Geisteshaltungen Leben – etwas, was nicht die Demonstration ist, dass ich Recht habe/dass wir Recht haben, sondern eine Einsicht in das, was uns gerade geschieht, und eine Antwort.

Diese Vorstellung schwelte bereits unter den Frauen, mit denen ich in verbindlichen politischen Beziehungen stehe, wie der letzten Nummer der „Via Dogana“ zu entnehmen ist. Aber jetzt haben sich die Dinge, wie man so sagt, beschleunigt, und die Frage hat eine unvorhergesehene Radikalität angenommen. So bringe ich in den Gesprächen mit anderen Frauen über den historischen Notstand, in dem wir uns befinden, diese Idee vor und verlange von ihnen, in dieser Herausforderung zu denken und zu sein: Ganz da zu sein mit allem, ohne an irgendeinem Inhalt festzuhalten, denn die Inhalte entstehen aus dem Austausch und sind von Mal zu Mal das Ergebnis der Vermittlung. Abgesehen von – hat eine gesagt, die ich immer anhöre – jenem Minimum, nicht größer als ein Granatapfelkern, das jede von uns als für sich „unverzichtbar“ hält.

(aus: Via Dogana “Fanno le guerre e non sanno confliggere”, Nr. 58/59, Dezember 01)

Übersetzung aus dem Italienischen von Angelika Dickmann.

Dank an Gisela Jürgens und Traudel Sattler