Projekt Beschreibung
Wo wilde Weiber wohnen
Darmstädter Echo vom 14.12.2010
“Frauen haben Spuren hinterlassen im sozialen, kulturellen und politischen Leben – nur wurde das selten dokumentiert”, sagt Barbara Linnenbrügger. Die Leiterin der Odenwälder Frauengeschichtswerkstatt hat ein Buch herausgegeben, in dem sie mit anderen Spurensucherinnen das Leben von Frauen vergangener Jahrhunderte aus dem Dunkel ins Licht holt. “Wo wilde Weiber wohnen” lautet der Titel des Buches, der Abenteuerliches vermuten lässt.
Dabei geht es aber nur am Rand um Frauen, die außerhalb der dörflichen Gemeinschaften lebten und jenseits von Ehe oder Klostermauern ihren Weg suchten. Abenteuerliches im Leben von Frauen spielte sich jahrhundertelang, wenn überhaupt, gedanklich ab. Das Wilde ist das Ungelebte.
Die Frauen der Odenwälder Geschichtswerkstatt spüren den Lebensläufen nach. Basierend auf kargen Dokumenten, auf Zeitzeugenberichten von Frauen und auf Einfühlungskraft, ist ein ungewöhnliches Buch entstanden, das Odenwälder Frauengeschichte intuitiv und literarisch lebendig macht.
In unterschiedlichen Kapiteln forschen die Frauen zur Frühgeschichte der Keltinnen im Odenwald, zu Frauen als Handwerkerinnen in der Beerfurther Lebkuchenproduktion oder als Zigarettendreherinnen in Fränkisch-Crumbach, zur beginnenden Mobilität mit “Odenwälder Lieschen” und Fahrrad, wodurch sich Horizonte erweiterten, wie auch zu “Frauschaft und Herrschaft” in den Adelshäusern.
Am Mittwochabend war Barbara Linnenbrügger mit Akteurinnen der “Hollerbusch-Frauen”, die historische Frauengestalten in szenischen Vorträgen sichtbar machen, in Modau in der Regenbogenmühle zu Gast. Die Zuhörerinnen im Atelier des Mühlenhauses hatten in schöner Analogie eigene Spuren im Schnee hinterlassen.
Künstlerische Atmosphäre umrahmte das Nachsinnen der frauenbewegten Zusammenkunft. “Wenn wir uns auf die Spuren der Geschichte von Frauen begeben, so ist das die Suche nach unseren Wurzeln, nach unseren Ursprüngen, nach unseren Ahninnen”, betonte Barbara Linnenbrügger.
Das Buch wurde ausschnittsweise vorgestellt. Ausgehend von einem Grabfund bei Hummetroth, wurde Leben und Tod der “ältesten Odenwälderin” visioniert, die nahe des “Matronensteins” aus keltisch-römischer Zeit in Mümling Grumbach gelebt haben könnte. Ima Krüger ist dem Schicksal der “Weißen Frau von Böllstein” nachgegangen, von der bis heute gespenstische Sagen kursieren. “In Böllstein erhängte sich am 11. März 1549 eine junge Frau am Dachbalken ihres Hauses”, begann sie ihre Lesung.
Die Autorin versucht dem nachzugehen, was die Frau zum Selbstmord getrieben haben könnte, und erklärt die Angst vor “Wiedergängern” angesichts einer Rechtsprechung, die Selbsttötung als Mord ansah. Linnenbrügger schließlich gab das Gespräch mit einer Beerfurther Lebkuchenbäckerin wieder und in szenischem Spiel wurden die Erinnerungen einer Putzfrau an ihren Reinigungsdienst im “Odenwälder Lieschen” lebendig gemacht. Interviews und Erzählungen, gespickt mit einfühlsamer Fantasie, zeigten auf, dass “Geschichtsforschung als Inspiration für das eigene Leben” ein spannendes Unterfangen ist. (Charlotte Martin)