Originalvortrag von Luisa Muraro (Autorin) Freiheit lehren
Seminar: Das Ende des Patriarchats, 15. Juni 2002, in der Evangelischen Akademie Arnoldshain
Wenn wir aufgefordert werden, ein Thema zu bearbeiten, das wir vielleicht sogar selbst gewählt haben, verliert unser Kopf die Fähigkeit (ganz oder teilweise) zu diesem Thema etwas zu denken, und er beginnt, an anderes zu denken. Ein ausformuliertes Thema ist etwas Abgeschlossenes, es interessiert nicht mehr, denn der Kopf wird zu Recht vom Offenen angezogen. Mir geht das jedenfalls so. Deshalb war es früher mehr als schwierig, Schulaufsätze zu schreiben, so wie das damals verlangt wurde: es war eine wahre Qual, und die Schülerinnen, die weniger bereit waren zu leiden, „verfehlten das Thema“, d.h. sie verließen das Thema, weil sie dahin gingen, wohin ihr Kopf sie führte.
Auch ich werde das Thema verlassen und von etwas Anderem sprechen, denn ich will frei sein im Sprechen: wie soll ich sonst über Freiheit sprechen?
Ich möchte von meiner Erfahrung als Lehrerin sprechen. Eine Sache, die ich lehre, ist die Freiheit. (natürlich lehre ich sie, indem ich andere Dinge lehre). Und das ist mein Thema: Freiheit lehren. Und damit meine ich: weibliche Freiheit.
Ich weiß nicht, ob es möglich ist, Freiheit zu lehren. Ich tue es, ausgehend vom Postulat einer weiblichen Liebe zur Freiheit, und ich versuche dabei immer im Kopf zu haben, dass es weibliche Freiheit gibt.
Wenn man sich die gesellschaftliche Realität ansieht, denkt man zu oft nicht an weibliche Freiheit, sondern an Emanzipation und an Konditionierung. Auch wir betrachten das Verhalten der anderen Frauen zu oft als Ergebnis von Konditionierungen, anstatt zu denken: Hier ist eine Frau, die zeigt, dass sie frei ist, hier ist eine Frau, die zeigt, dass sie nicht frei ist. Konditionierungen gibt es zwar, sie sind aber keine Erklärung für das Wesentliche.
Nehmen wir zum Beispiel den Feminismus. Der Feminismus entstand durch Frauen, die im Leben ihrem Geschlecht treu bleiben wollten. Also freie Frauen, echte „Signore“ (Ich verweise darauf, dass Signoria Souveränität bedeutet, Anm.d.Ü.). Aber in der gängigen Vorstellung wird der Feminismus als eine Bewegung von Frauen gesehen, die sich gegen Unterdrückung oder Untertanendasein auflehnen und sich mit den Männern auf eine Ebene stellen wollen, also eine Bewegung von Dienstmägden.
Oder sehen wir uns an, wie Frauen aus anderen Kulturen betrachtet werden: Was uns dabei am ehesten ins Auge fällt und was wir wahrnehmen, ist nicht die Freiheit, sondern die An- oder Abwesenheit weiblicher Emanzipation wie sie im Westen praktiziert wird. In der westlichen Kultur fördert man die Integration der Frauen in die Welt der Männer und den Konkurrenzkampf zwischen den Geschlechtern, und wir begehen den Fehler, diese Dinge, ob sie nun gut oder schlecht sind, mit Zeichen der Freiheit zu verwechseln.
(vgl. Lia Cigarini, in Via Dogana 61, Juni 2002, S. 3)
Man muss natürlich wissen, dass nicht sehr viele Menschen die Freiheit lieben. Ich spreche hier von meinem Land, wo die Machtergreifung Berlusconis dazu führte, dass nicht wenige Journalisten auf die Unabhängigkeit ihres Urteils verzichtet haben.
Unter den Frauen die sich in feministischen Bewegungen engagierten, haben viele die Liebe zur Freiheit gepflegt, doch […]