Projekt Beschreibung
Jenseits der Gleichberechtigung
maedchenmannschaft.net, Die Feministische Bibliothek, Nr. 34, 27.9.2009
“Weit über Gleichberechtigung hinaus …” heißt ein Bändchen von Ina Praetorius, das vor kurzem im Christel Göttert Verlag erschienen ist. Untertitel: “Das Wissen der Frauenbewegung fruchtbar machen”. Es geht Ina Praetorius unter anderem darum, dass Feministinnen mehr fordern als nur Gleichberechtigung, dass Gleichberechtigung eigentlich als pars pro toto, als Teil des Ganzen, und somit als Mittel zum Zweck gesehen werden kann. Das Streben nach Gleichberechtigung sieht Praetorius sogar als hinderlich. Sie schreibt:
“Was Feministinnen unter Weltgestaltung verstehen, haben sie schon in unzähligen Texten erläutert. Aber dieses Wissen, das uns eigentlich längst zur Verfügung steht, wird immer wieder vergessen. Warum? Weil wir immer noch zu sehr mit dem Kampf um Gleichberechtigung beschäftigt sind? Weil wir noch nicht aufgehört haben, das “Höhere Männliche” anzubeten, das sich heute kaum mehr “Herrgott”, sondern zum Beispiel “Wallstreet” oder “Eliteuniversität” oder “FAZ” nennt? Und weil Weltgestaltung anstrengend ist?”
Anstrengend ist ein gutes Stichwort, das die Bemühungen einer jeden Feministin treffend beschreibt. Es ist anstrengend, auf Sexismen hinzuweisen, gegen Diskriminierung zu kämpfen – und dabei nicht schlecht gelaunt, sarkastisch und verbittert zu werden.
Doch dass das Streben nach Gleichberechtigung auch Schattenseiten hat, damit gebe ich der Autorin recht, wenn sie nur vermeintlich naiv betrachtend schreibt, “… es ist nicht angemessen, lebenswichtige Dinge wie Kochen, Reinigen, Zuhören oder Kinderhüten für minderwertig zu erklären. Genauso wenig realistisch ist es zu meinen, das, was man ‘Karriere’ oder ‘öffentliche Positionen’ nennt, sei grundsätzlich interessant”. Was interessant oder nicht ist, hat immer auch mit gesellschaftlichem Druck zu tun. Doch dass Gleichberechtigung hinsichtlich geteilter Macht nach wie vor ein Thema für die Frauenbewegung ist, hat sehr treffend Petra Steinberg kürzlich in der SZ geschrieben:
“Warum wollt ihr die Macht überhaupt, fragen manche Männer. Und was wollt ihr mit ihr? Sie ist nichts, die Macht, sie macht höchstens krank, dick und Magengeschwüre. Das mag sein. Aber man muss sie erst einmal ausprobieren können, um sich denn vielleicht gegen sie zu entscheiden.”
Dagegen entscheiden kann auch bedeuten, etwas Neues zu finden. Dass Begriffe wie Karriere oder Macht mit neuen Inhalten befüllt werden, fern von 60-Stunden-Woche oder Machtmissbrauch – etwas, dass das Leben von Frauen und Männern verbessern könnte. Auch Ina Praetorius weiß darum und schließt deshalb mit dem hoffnungsvollen Gedanken eine s gleichberechtigten Denkens:
“… viele Männer haben sich durch die Politik des weiblichen Separatismus daran gewöhnt, dass unser Wissen sie nichts angeht, glauben vielleicht sogar, Frauen wollten nur zu Frauen sprechen und daher seien ihre Aussagen nicht wichtig fürs Ganze. Doch diese Männer hätten trotzdem die vielen Bücher lesen können, die aus den Räumen des Frauenwissens kamen. Warum haben sie es kaum getan? Weil sie von den Attacken der revoltierenden Frauen thraumatisiert sind? … Eins aber ist sicher: Es gibt auch Männer, die feministische Bücher lesen… Mit ihnen ist zu rechnen, wenn wir uns aufmachen in eine Zukunft, die, weit über Gleichberechtigung hinaus, wohnlich sein wird. Für alle.”
Ina Praetorius Buch ist eine mögliche Antwort auf die Frage “Wo sind wir gerade in der Frauenbewegung”, sie ruft Errungenschaften ebenso wie noch zu Erringendes in Erinnerung. Und vergisst dabei nicht den gesunden Menschenverstand.
Ina Praetorius, “Weit über Gleichberechtigung hinaus … Das Wissen der Frauenbewegung fruchtbar machen”. Christel Göttert Verlag, 2009. 80 Seiten, broschiert. 5 EUR.
(Barbara)