Projekt Beschreibung
Frauenkultur im öffentlichen Raum
Neue Wege, 2/2012
Der Labyrinthplatz auf dem Zeughausareal in Zürich ist in vielfacher Hinsicht etwas Ausserordentliches:
Er wurde letztes Jahr 20 Jahre alt; er ist für alle Menschen offen, die Gastgeberinnen aber sind die Frauen; er wurde in weitgehend freiwilliger Arbeit erstellt, wird erhalten und genutzt; das Labyrinth im Kreis 4 mit hohem AusländerInnenanteil, grosser Sprachenvielfalt, bewährt sich als “Verständigungsmittel”; der Labyrinthplatz ist ein Pionierplatz, er hat seit 1991 eine Länder übergreifende Labyrinthbewegung ausgelöst; der Labyrinthplatz ist die Realisierung einer Vision.
Wir brauchen Labyrinthe, hier und überall, träumte die Initiantin Rosmarie Schmid, mindestens 133 öffentliche Frauenplätze! Wir brauchen sie für die Gestaltung unserer Kultur, um uns zu orten, nachzudenken, um unsere Welt mitzugestalten. “Kultur entsteht nie an einem Nicht-Ort. Kultur braucht Raum in der Öffentlichkeit.” (Rosmarie Schmid)
Warum brauchen wir Labyrinthe? Was ist an diesem Kulturmuster so wichtig? Das Buch “Erzähl mir Labyrinth” gibt Antworten auf diese Frage – suchende Antworten, wie sie in vielen Veranstaltungen entfaltet worden sind. Das Buch ist sehr schön gestaltet, die Texte der sieben Autorinnen werden durch Fotos ergänzt, die die Vielfalt der durchgeführten Ereignisse belegen, und durch Bilder der Künstlerin Agnes Barmettler. Die Kapitel des Buches sind angelegt wie ein Gang durchs Labyrinth. Die Leserin, der Leser kann sich dadurch sanft und herausgefordert in labyrinthisches Denken einführen lassen.
Das Labyrinth wird als Lebensbild verstanden, es zu gehen braucht Zeit. Seine Struktur mit den rätselhaften Pendelbewegungen hilft dabei, “alles wenn möglich von verschiedenen Seiten zu betrachten. Selten ist ein Entweder-oder angebracht” (Ursula Knecht). Der mehrmalige Perspektivenwechsel regt an, gängige Denk- und Handlungsmuster zu hinterfragen, Neues zu versuchen – mit der Gewissheit, immer neu anfangen zu dürfen.
Das Labyrinth ist seit Jahrtausenden in unterschiedlichen Kulturen bekannt. Die Labyrinthfrauen haben es mit seiner alten Lebensweisheit in die Gegenwart geholt. Was aber bedeutet dieses komplexe Kultur-Muster? Das Suchen danach, mögliche Antworten, immer neue Herausforderungen entfalten sich bei der Lektüre des Buches. Es gibt keine für alle gültige Definition. Das ist das Unerschöpfliche an diesem Bild: das Labyrinth hat eine offene Struktur, schliesst nichts aus, fordert eine achtsame Haltung, immer neu suchend, fragend und mit Respekt für die Vielfalt des Lebens unterwegs zu sein.
Das suchende Erkunden finde ich das Besondere an Buch wie Projekt. Stil wie Erzählweisen der Autorinnen, wie auch die Art der durchgeführten Veranstaltungen, sind recht unterschiedlich und die Labyrinthfrauen lassen diese Verschiedenheiten gelten. Sie autorisieren sich “gegenseitig, indem sie einander vertrauen und sich gegenseitig etwas zutrauen”. Diese Haltung erfahren auch die Menschen, die auf den Labyrinthplatz kommen. Sie erfahren Respekt und Vertrauen.
(Brigit Keller)