Projekt Beschreibung
„Eine Kultur der Mütterlichkeit“
Mathilde, Jan./Febr. 2007
Die Autorin Irene Fleiss schreibt über egalitäre Gesellschaftsformen, in denen Weiblichkeit einen hohen Rang hat. Es handelt sich dabei um Matriarchate, die es schon in der Altsteinzeit gab und die in einzelnen Regionen der Welt außerhalb von Europa bis heute existieren. Sie bezieht sich dabei auf ein breitgefächertes Fundament der Matriarchatsforschung, auf ca. 500 Veröffentlichungen von fast 350 Autorinnen und Autoren weltweit.
Offiziell wird nach wie vor das männerdominante Herrschaftssystem – genannt Patriarchat – als die einzig wahre, universale Gesellschaftsform interpretiert, die es angeblich immer gegeben hat. Die frühgeschichtliche Zeit wird als ‚barbarisches’ Stadium der Menschheit und allenfalls als primitive Vorstufe zum Patriarchat ausgegeben.
Dabei geht aus diesem Buch klar hervor, dass praktisch alle zivilisatorischen Leistungen vor dem Beginn des Patriarchat entwickelt wurden, was den Mythos von der Einzigartigkeit des patriarchalen Bewusstseins gründlich in Frage.
Irene Fleiss schreibt der Matriarchatsforschung eine wichtige soziale und politische Dimension zu, denn sie enthüllt nicht nur die Möglichkeit einer völlig anderen Gesellschaftsstruktur, sondern auch die Grundlagen unseres gegenwärtigen zerstörerischen Systems. Außerdem wird durch diese Forschung deutlich, dass die tradierte Version von geschichtlicher Vergangenheit auf der Verdrängung und Verleugnung einer ganzen Kulturepoche und damit auf einer großen Lüge beruht. Wenn jedoch vielen Menschen bewusst wird, dass andere Strukturen und Lebensweisen möglich waren und sind, kann ein anderer Standpunkt eingenommen und adäquat gehandelt werden.
Ganz offensichtlich waren und sind matriarchale Gesellschaften für Natur und Menschen förderlicher, als unsere heutigen politischen und sozialen Strukturen.
Irene Fleiss schildert die Vielfalt matriarchaler Lebensformen. Diese Gesellschaften waren weitgehend gewaltfrei. Der Umgang mit Aggression beruhte auf einer konstruktiven Streitkultur. Aus matriarchal lebenden indianischen Volksstämmen wurde berichtet, dass Kinder ganz ohne Gewalt und ohne Strafen aufwuchsen und dass dort Gewalthandlungen zwischen Menschen völlig fremd waren. Die daraus resultierende Annahme, dass Gewalt nicht unbedingt zur menschlichen Natur gehört, ist radikal und stößt bei den meisten Menschen unserer Tage auf Widerspruch.
Das Matriarchat beruht auf mütterlichen Werten, damit stehen die Bedürfnisse von Kindern und Frauen und damit der Schutz des Lebens im Mittelpunkt. Dies schließt auch den achtsamen Umgang mit der Erde ein. Frauen üben zentrale Funktionen aus in den sozialen, ökonomischen und spirituellen Bereichen, ohne jedoch zu herrschen. Aus der Praxis heute noch existierender Matriarchate geht klar hervor, dass von diesen Gesellschaften geprägte Menschen anders mit Macht umgehen. Es geht ihnen primär um das Gleichgewicht der Gemeinschaft und die mütterlichen Werte des Teilens. Matriarchale Macht kann am besten als natürliche Autorität oder ‚Macht-von-innen’ im Gegensatz zur ‚Macht-über-andere’ definiert werden. In keinem Fall wurden oder werden Männer unterdrückt, sonders es wird weitgehend darauf geachtet, dass Herrschaftsbereiche gar nicht erst entstehen können.
Über mehrere Seiten beinhaltet das Buch einen interessanten historischen Überblick über die matriarchale Zeitspanne vor dem Jahre Null unserer Zeitrechnung bis ins zwanzigste Jahrhundert. Damit soll gezeigt werden, wo und wann matriarchale Gesellschaften existierten und unter welchen Umständen sie von patriarchalen bedrängt und bis auf wenige Ausnahmen vernichtet wurden.
Die Autorin ist durchaus nicht der Meinung, dass die Welt je ‚ein Paradies der Frauen’ war oder dass Frauen die besseren Menschen sind. Genauso wenig glaubt sie, dass wir ‚in der besten aller möglichen Welten’ leben, sondern dass es bessere Gesellschaftsformen gegeben hat und noch gibt.
Irene Fleiss sieht eine lebenswerte Zukunft in ‚der Überwindung des Patriarchats unter Verwendung der Erkenntnisse, die wir über Matriarchate gewonnen haben – also im Aufbau von etwas völlig Neuem’.
Dabei geht es ihr nicht darum, vergangene Strukturen wieder zu errichten, sondern aus den destruktiven Strukturen unserer Gegenwart auszubrechen, sie zu verändern und damit unsere Gesellschaft lebenswerter und überlebensfähig zu machen …”
(B.O.)