Projekt Beschreibung
Sinn – Grundlage von Politik
wolfsmutter.com vom 29.8.06
“Sinn” ist Liebe zur Welt, ist sich in der Welt einbinden und zugleich Freiheit erfahren. Damit beschäftigt sich dieser kluge Band, den Irene Fleiss für uns entdeckt hat.
Zehn Frauen sind zusammengekommen – in mehreren Treffen -, um zum Thema “Politik von Frauen” zu schreiben. Aus verschiedenen Anliegen und Motivationen, aus unterschiedlichen Zugängen und Interessensschwerpunkten entstand ein Text, der aus einzelnen Textteilen zu einer von allen zehn Frauen durchgearbeiteten Endform wuchs, in der kein Teil mehr einer bestimmten Autorin zugeordnet werden kann. Diese Entstehungsgeschichte fasziniert mich – kann es sein, daß wir das Ergebnis einer echten Konsensfindung vor uns haben? Über seine Entstehungsgeschichte hinaus ist der Text eine interessante, anregende Sache. Neue Ideen – alte Ideen unter neuen Blickwinkeln – philosophische Sichtweisen beleuchten: Sinn in der Politik; persönliche Verortung in der Welt; Reduzierung der Welt auf die Notwendigkeiten und Möglichkeiten einer bestimmten Gruppe von Menschen; das In-der-Welt-Sein.
“Das Gefühl der Sinnlosigkeit bringt die Empfindung zum Ausdruck, dass persönliche Teilhabe misslingt, das Gefühl der Sinnhaftigkeit entsteht, wenn jemand in persönlicher Beziehung zum Geschehen und seinem Resultat stehet.” Die indogermanische Wurzel des Wortes “Sinn” meint gleichzeitig den Ausgangspunkt, das Ziel und den Weg dazwischen. Der Weg ist das Ziel? Nein, so ist es wohl nicht gemeint (zum Glück), sondern Weg und Ziel hängen zusammen, und ohne den Ausgangspunkt hängt beides in der Luft. Damit kann ich etwas anfangen. …
Die bisher vertretene Auffassung, daß es auch in öffentlichen Räumen Anspruch auf Privatheit gibt, wird derzeit gerade aufgegeben (Videoüberwachungen von Plätzen und U-Bahnen). Dem verstärkten Sicherheitsbedürfnis wird immer mehr Freiheit geopfert. Die Autorinnen stellen die Frage, um welche Sicherheit es dabei eigentlich geht. Die Intimität geht verloren, das vormals Private wird öffentlich – aber nicht politisch, entgegen der Forderung der Frauenbewegung in den Siebzigern. Das Politische wiederum, stellen die Autorinnen fest, wird zunehmend institutionalisiert und professionalisiert. Über Gleichstellungspolitik meinen sie, daß “viele Frauen jedoch lieber auf den Konsens mit Männern statt auf Sanktionen setzen”, was “ein Ausdruck ihrer Ablehnung von Machtpolitik” ist, “selbst wenn diese in der demokratischen Form des Rechts auftritt”. Die inhaltliche Einbeziehung von Frauen- und generell von Geschlechterthemen bedeutet leider nicht, daß damit eine qualitative Änderung und eine Öffnung der Organisation für die Vielfalt der Geschlechterbeziehungen verbunden wäre. Frauen haben in zunehmendem Maße Verantwortung für das Funktionieren der Institutionen übernommen, können aber ihre eigenen Anliegen nicht verwirklichen. “Orte des Symbolischen sind im ´Zwischen´ und nicht für sich allein: zwischen Frauen, zwischen Männern, zwischen beiden Geschlechtern, zwischen den Meinungen, zwischen den Verhandlungen, zwischen den Differenzen.”
Wie noch alle philosophisch-politischen Bändchen aus dem Christel-Göttert-Verlag, die ich gelesen habe, ist auch dieses sehr informativ, sehr anregend, sehr geistreich. Lesen, nachdenken, diskutieren – im Idealfall etwas davon umsetzen, das kann ich nur empfehlen.
(Irene Fleiss)